Max KlingerEin Prophet der Zukunft
Von der Heydt-Museum bereitet eine Max Klinger-Ausstellung vor

Die Kunst müsse prophetisch sein, schrieb Kandinsky in seinem Buch ,,Über das Geistige in der Kunst“ (1912). Die Kunst, die keine Potenzen der Zukunft in sich birgt, die also nur das Kind der Zeit ist und nie zur Mutter der Zukunft heranwachsen wird, ist eine kastrierte Kunst. (...) Die anderen zu weiteren Bildungen fähige Kunst wurzelt auch in ihrer geistigen Periode, ist aber zur gleichen Zeit nicht nur Echo derselben und Spiegel, sondern hat eine weckende prophetische Kraft, die weit und tief wirken kann“. Zu den Künstlern mit prophetischer Kraft gehört Max Klinger (1857—1920). Das Wuppertaler Von der Heydt-Museum wird ab 28. Juni seine Arbeiten in einer Ausstellung präsentieren.
Max Klinger erfaßte nicht nur den Geist seiner Epoche: das ausgehende 19. Jahrhundert. Er nahm auch die Elemente der Zukunft wahr, die ihn in ein besonderes Verhältnis zur Gegenwart setzte. Klinger bekannte sich zum Christentum, aber nicht vorbehaltlos; er nahm auch die Einflüsse außerchristlicher Religionen in sich auf, besonders Buddhismus und griechisch-römisches Heidentum. Alles dies war virulent im ausgehenden 19. Jahrhundert.
Hinzu kam die soziale Frage, die allein durch Religion nicht mehr gelöst werden konnte. Die sozialen Tragödien in den Bildfolgen ,,Eine Mutter“, ,,In die Gosse!“ oder ,,Schande“ können realistischer nicht sein.
Klinger nahm bereits die apokalyptischen Boten des Krieges wahr, der sich dem sensiblen Künstler am geschichtlichen Horizont der Zeit schon ankündigte. Den Weltkrieg mit seinen Greueln stellte er zum Beispiel in ,,Der Tod als Pflasterer“ dar.
Diese Visionen der Zukunft stellten auch Klingers Christentum auf den Prüfstand. Zuweilen erschien ihm der Tod als Erlöser des Menschen, und so brachte er ihn mit Christus in Verbindung. ,,Der Tod als Heiland“ zeigt diese Verkehrung: Während er von dem einen angebetet wird, fliehen ihn die anderen entsetzt.
Als die geistige Epoche des ausgehenden 19. Jahrhunderts noch einmal die Renaissance des griechisch-römischen Heidentums heraufbeschwört, geriet das Christentum fast in eine Defensive. Klingers Gemälde „Christus im Olymp“ gibt davon beredtes Zeugnis. Die schärfste Kontroverse mit dem Christentüm führt Klinger unter dem Einfluß des Buddhismus, der ihm durch die Vermittlung Schopenhauers und Nietzsches geläufig war. Das buddhistische Nirvan erscheint Klinger als ,,Urnichts“ (1874/77), das im Tode Erlösung und Rückkehr ins gegenstandslose Nichts ermöglicht. Die buddhistischen Lehrschriften wie das Udâna sprechen tatsächlich vom Reich, wo es ,,weder Sonne noch Mond“ noch sonst irgendetwas gibt, das Menschen fassen könnten. Das Nichts, dessen Erlösungscharakter durch den Nihilismus als einem falsch verstandenen Buddhismus aber ganz verloren gegangen ist und durch die Nazis, diese aktiven Nihilisten, völlig pervertiert wurde. Der Buddha predigt nicht Vernichtung sondern die Erlösung vom Leiden, das zu Nichts wird.
Max Klinger sah im Ende aller Dinge wie in ,,Finis“ einen Trost, der ihn mit sich, seiner Epoche und der Zukunft versöhnte. Darin eingeschlossen ist auch der Frieden der Religionen untereinander.
Klingers Werk ist symptomatisch für das Ende eines Jahrhunderts; die Fin de Sièc1e Stimmung ist bekannt. Klingers Malerei, seine Graphiken und seine Skulpturen am Ende eines Jahrhunderts zu zeigen, hebt ihn in den Rang, der ihm gebührt: Ein Prophet der Zukunft zu sein.
(Ausstellung im Von der Heydt-Museum Wuppertal vom 28. Juni bis 6. September 1992.)

Thomas Illmaier

DER WEG, 25/1992. Bilder: „Schande“ (1885), „Der Tod als Heiland“ (1889) von Max Klinger.

 



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