Gefleischert und geklingert

Thomas Illmaier

Das Von der Heydt-Museum Wuppertal zeigt bis zum 6. September eine große Max Klinger Ausstellung. Es werden neben eigenen Exponaten des Museums auch eine große Anzahl von Klingers Werken, die dem Museum der bildenden Künste in Leipzig gehören, präsentiert. Dies dürfte die letzte große Max Klinger Ausstellung sein, da viele der großformatigen malerischen Werke sowie die schwergewichtigen Skulpturen in Zukunft nicht mehr transportiert werden dürfen: der Schaden, den sie nehmen könnten wäre allzu groß.
Max Klinger gehört die Zukunft. Ihn gerade nach der Wende, der wachsenden Einheit Deutschlands zu zeigen, ist von besonderer Bedeutung. Klingers Werk ist symptomatisch für ein Deutschland. das noch nicht durch Krieg und Depression gegangen war. Trotzdem fehlt Klingers Werk der Größenwahn. Noch ist nichts beschmutzt durch Nationalsozialismus und klitternde Geschichtsschreibung. Richard Wagner erscheint noch einmal als wissender Prophet, Nietzsche als introvertierter, doch in seiner Transparenz klarer Denker und Liszt, der seine Präludes nicht für die Wochenschau der Nazis dichtete, als mythischer Grobschreck mit eigenem Gewicht. Alle überlebensgroß und von großer Strahlkraft. Wenngleich die Skulpturen, wie sich manche Frauen unter den Besuchern äußerten, nicht gerade vertrauenserweckend sind, soll damit doch nicht die Realität des Kunstwerks vergessen sein, dessen Wirklichkeit durch unsere Projektionen lebt.
Klingers Werk ist gruppiert um die Themen: Macht des Geistes, Macht der Kunst. Abgesehen von seinen sozialen Themen, die die Gegenwart des Reiches kompromißlos schilderten, sind seine mythologischen und religiösen Themen voller Zukunft und Transzendenz. Daher sind sie für uns heute wichtig und werden es auch in Zukunft sein. Mit Klinger wird der Christ fragwürdig, der unter die Heiden fällt und auf dem Olymp mit den Göttern diskutiert. Klinger öffnet Asien Tür und Tor, und der Buddhismus hält Einzug, wie ihn Schopenhauer und Nietzsche vermittelten. ,,Urnichts“ und „Zurück ins Nichts“ – die sich zuspitzenden Widersprüche der Weltkriegszeit. die sich ankündigen und von Klinger visionär vorweggenommen werden, - der Ausweg ins Nichts, das (nihilistisch falsch verstandene) buddhistische Nirvana scheint der Ausweg zu sein angesichts einer totalen Menschheitsvernichtung, darin ,,Der Tod als Heiland“ auftritt. Das kann man alles im graphischen Werk des Künstlers nachschauen. Die Ausstellung und der Katalog bieten eine Fülle von Radierungen und Zeichnungen. Angesichts einer solchen todesschwangeren Zukunft fragt man sich, wie Klinger leben konnte? Er drückte kompromißlos aus, was er sah und fühlte. ,,Gefleischert und geklingert“, wie er das nannte, heftete er seine Figuren an den Horizont der Zeit. Sein Geheimnis: Seine Figuren überleben. Zweck: Die ,,Gestalt des Menschen nach ihrem Absterben“ bewahren. Insofern treten also Wagner, Nietzsche, Liszt noch einmal auf. Christus diskutiert noch immer auf dem Olymp, während das Nirvana der Zukunft schon mächtig heranrückt.
Farbe und Form – besonders schön aber sind die gegenstandslosen Werke wie ,,Narcissus und Echo“ – haben bei Max Klinger unterschiedliche Bedeutung. Form ist bei ihm unnachgibig, Realität und nadelspitze Fassung. Sie tut weh. Farbe ist bei Klinger der Ausdruck und Garant des Schönen. Ideal einer letzten Wirklichkeit, die erinnert und kraftvoll imaginiert ein Schlußlicht auf die Welt des Menschen setzt.

Der Literat, 7-8/1992, S. 9.


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