Max KlingerRetrospektive am Ende des Jahrhunderts
Und immer wieder Tod

Durch die Einheit Deutschlands sind viele Werke des Malers, Graphikers und Bildhauers Max Klinger aus dem Museum der Bildenden Künste Leipzig besser verfügbar. So brachte das Frankfurter Stadel eine umfassende Klinger Ausstellung auf die Beine, die bis zum 7. Juni 1992 in Frankfurt zu sehen war. Diese Ausstellung wird vom Von der Heydt-Museum übernommen und bis in den September 1992 in Wuppertal zu sehen sein.
Die apokalyptischen Zeichen am Ende eines Jahrtausends mehren sich deutlich. Schon jedes Jahrhundert kennt die Wehen des fin de siècle. Max Klinger lebte von 1857-1920 und überlebte die wichtigste deutsche Epoche: die Reichsgründung und den Anbruch des 20. Jahrhunderts.
Klinger eilte seiner Zeit voraus. Viele seiner Werke weisen in die Zukunft und wirken auf Künstler wie Kubin, Max Ernst oder de Chirico. Die Darstellung der Gegenwart bei Max Klinger ist vielfach verschlüsselt, denn seine Offenheit hätte die deutsche Öffentlichkeit brüskiert und die herrschenden Tabus verletzt. So wird die sexuelle Frage im ausgehenden 19. Jahrhundert ein Problem, das Klinger in seinem privaten Bereich löste. Tritt er jedoch mit diesem Problem an die Öffentlichkeit, tut er dies in einer verhüllenden Form, wie etwa die Szenenfolge ,,Verführung“ von 1879 und 1884 zeigt.
Max Klinger portraitierte die ,,Größten“ seiner Zeit, Nietzsche, Wagner und die Älteren, wie Beethoven und Brahms. Zu seinem plastischen Werk gehört jedoch kein Schopenhauer, den er doch verehrte oder dessen Geist er doch für sich als gültig empfand.

Restlose Vergänglichkeit

Mit Max Klinger erhält auch die Darstellung der Religion eine andere Bedeutung: Sie wird der Skepsis anheimgestellt und zu einer den asiatischen Einflüssen (insbesondere buddhistischen durch die Vermittlung Schopenhauers) geöffneten Endzeitlehre. Das Heil des Menschen liegt nicht im christlichen Paradies, sondern im Urnichts restloser Vergänglichkeit. Die folgenden Szenen, ,,Urnichts“, ,,Der Tod als Heiland“, ,,Finis“ und ,,Ins Nichts zurück“ drücken Klingers Aspirationen sinnfällig aus. Klinger setzt auch die von Nietzsche begonnene Umwertung der Werte ins bildnerische Werk: ,,Der Tod als Heiland“ trägt den Satz: ,,Wir fliehen die Form des Todes, nicht den Tod; denn unsrer höchster Wünsche Ziel ist: Tod.“ ,Den Tod als Heiland beten die einen an; die anderen fliehen entsetzt den, der doch unausweichlich ist.
Klinger verarbeitete viele seiner Probleme, die zugleich Zeitprobleme waren, wie die soziale Ungerechtigkeit, die unerlöste Liebe der Gefreiten oder die nahende, drohende Kriegsgefahr, in mythologischen Themen. Dies scheint die Tatsachen einerseits zu verhüllen, andererseits aber auch auf die Schwere der Problematik hinzuweisen, die nur transpersonal gelöst werden kann, wobei der Mythos die Lösung des Konflikts bereits vorzeichnet.
Klinger als Prophet und mit einer prophetischen Kraft sondergleichen setzt auch die sich abzeichnende Zukunft ins Werk: Gepaart mit der Einsicht und untrüglichen psychologischen Begabung sieht er bereits die Massenkatastrophe und das darin sich lösende Schicksal des einzelnen vorgezeichnet. Und immer wieder Tod!
Klingers Kassandrarufen steht aber eine tiefe Liebe zur Schönheit zur Seite. Er betet sie an und den sie schaffenden Genius vergottet er. Sich selbst sieht er jedoch weniger als Künstler, vielmehr als den Zeitgenossen, der als Bürger zweier Welten im Idealreich der Schönheit und in der Zwangswelt des Alltags zu Hause ist – und als denjenigen, der das Schicksal erleidet, aber nicht formt. Denn der Wille – wir sagten es schon — findet erst im Tode Erlösung. Was für den Künstler Freundliches im Leben war, hat er übrigens nicht in Stein oder Graphik verewigt, sondern gemalt. Klingers Gemälde, seine ,,Farbendichtung“, wie er sie selbst nannte, geben davon beredtes Zeugnis.
THOMAS ILLMAIER

Bild: „Armor, Tod und Jenseits“ (1881) von Max Klinger.

Bergische Blätter, 12/1992, S. 17.

 



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