Herman de VriesOffenbarungen der Natur

Straßenszene in Delhi. Jama Meshid läuft mit dem Korb auf dem Kopf durch die Straßen Old-Delhis, Jain-Quartier, ruft: ,,Papper Bhang, Papper Bhang! – Enthält nur Bhang, kein Datura! – 1-2 essen und sich dann hinlegen. Tee trinken.“
Herman de Vries hat die runden Kuchen gekauft und genossen. Bhang, eine indische Art, Cannabis zu bereiten, ist dem Shiva heilig. Ihm zu Ehren wird es genossen. Hermann de Vries kaufte auch Datura, die prächtige Engelstrompete; Atropa Belladonna, die Tollkirsche, das Bilsenkraut und viele andere geistbewegende Pflanzen mehr auf seinen Weltreisen, die ihn nach Kathmandu, nach Senegal oder Marokko führten, natürlich auch in die einheimischen Wälder, nach Eschenau, zur Sababurg im Reinhardswald, Wälder in Deutschland kennt er wie seine Westentasche. Die Pflanzen, die er kennt, belaufen sich auf ca. 3000. Vor allem Heilpflanzen. Selbst gegessen davon hat er ungefähr 660. Der Namen erinnert er sich präzise. Wenn er die Pflanzen ißt, ist er die Pflanzen; denn der Mensch ist, was er ißt, wie das Sprichwort sagt. Die Flora incorporata machen eigentlich erst den Menschen. Bei Herman de Vries wird ein Kunstwerk daraus. Ihm am Herzen liegen vor allem die geistbewegenden und – befreienden Pflanzen, die er für heilig hält. Das sind besonders die psychedelischen Pflanzen wie der Psilocybe Pilz, das Peyote (Meskalin) und viele andere. Diese Pflanzen, sagt er, machten ihn sehend, indem sie seine Sicht und Sinne reinigten. Auf diese Weise ,,erneuerte sich eine alte Beziehung“, nämlich mit der Natur und ihren Kräften verbunden zu sein.
Herman de Vries ist ein Künstler, ein Sammler natürlich, auch Poet und manchmal auch ein mutiger Politiker: ,,Hört auf mit der Hexenjagd gegen Psychedelika! Wir brauchen sie verzweifelt, nötiger denn je, in dieser aus den Fugen geratenen Gesellschaft, die lernen muß ... Identität, Gemeinsamkeit“, schrieb er zum Jahrestag ,,50 Jahre LSD“. De Vries läßt sich nicht einschüchtern, und wenn er Geld für seine Arbeit von Ministerien und öffentlichen Stiftungen erhält, nimmt er deswegen sein Eintreten für den Gebrauch von Psychedelika nicht zurück. Und wenn er eine Sammlung Heidelbeerblätter als Naturkunstwerk an die Daimler Benz AG in Stuttgart verkauft, zuckt er auch nicht mit der Wimper.
Herman de Vries‘ Hauptarbeitsgebiet sind die ,,natural relations“, Beziehungsgeflechte der Natur, für deren Erhalt und Darstellung er sich einsetzt. Seine Kunst besteht darin, daß er die Natur, die selbst ein Kunstwerk ist, ,,machen läßt“ — konkret: Er setzt sich unter den Kirschbaum in seinem Garten und wartet, daß die Blätter herbstlich fallen. Papier und Klebstoff darunter, und so wie sie gefallen sind, bleiben sie auf dem Papier kleben, natürlich, zufällig, frei. Das ist die Offenbarung der Natur, das Bild, das Kunstwerk als natürlicher Prozeß . ,,Natur ist Kunst“, schreibt Herman, und die einzige Aufgabe des Künstlers ist, der Natur beizustehen, sie zu schützen und zu präsentieren.
Eines der bedeutendsten Kunstwerke von Herman de Vries ist ,,Das verschlossene Paradies“. Es handelte sich von außen besehen um ein Gewächshaus, das es aber in sich hatte. Folgende Pflanzen fanden sich darin blühend, duftend, als primäre Wirklichkeit: Datura (Stechapfel), Cannabis (indischer HanO, Withania somnifera (Traumwurzel), Papaver somniferum (Schlafmohn), San Pedro Kaktus und Peyotl, insgesamt 21 geistbewegende Pflanzen, von denen Eva im Paradies vielleicht zuerst gekostet hat. Dieses ,,verschlossene Paradies“ wurde im Karl Ernst Osthaus-Museum Hagen 1989 präsentiert anläßlich der Ausstellung ,,natural relations“. Dieses Museum in Hagen/Westfalen, eine Stunde Zugfahrt von Düsseldorf entfernt, haben wir an einem sonnigen Märztag besucht.
Über dem Eingang des Osthaus-Museums der Spruch ,,A junk of arts is a joy for never“, eine Persiflage auf John Keats Ausspruch ,,A piece of art is a joy forever“. Wir sind gespannt. Gleich in der Eingangshalle geht es abwärts durch ein Tor, das aus Aids-Gedächtnissteinen (mit Namen von Verstorbenen) aufgeschichtet ist. Und schon stehen wir im Zwielicht des Jugendstilkellers vor den Schätzen de Vries‘. Hier lagert seine Naturkunstsammlung ,,natural relations“. Das sind ca. 3000 von de Vries gesammelte Pflanzen, Samen zumeist, fein säuberlich in Schubkästen. Skurile Stücke darunter, Wurzeln wie aus dem Märchen, hier machen Schulklassen halt. Schlägt man das Register auf, zum Beispiel unter Cannabis, findet man ausführliche Beschreibungen, Vorkommen, Wirkung etc. und kann sich die Pflanzen bzw. ihre Samen einmal in dieser Umgebung betrachten. Die Kunsthistorikerin Julia Dettmann, die über ein ausgezeichnetes botanisches Fachwissen verfügt, hat dieses Herbarium um einige Visionspflanzen, die sie im Umkreis der Stadt Hagen fand, bereichert. Sehr schön die Tollkirsche aus der Donnerkuhle oder jener bittersüße Nachtschatten aus dem Steinbruch Oege, den Hagenern wohlbekannt. Diese Pflanzen wachsen nur noch vereinzelt im eigenen Lebensraum auf, der zumeist zur Umwelt des Menschen verkommt. Man kann diese Pflanzen fast mit Kinderaugen sehen, denkt sich Aufklärung dabei, um diese geistbewegenden und geistbefreienden Pflanzen, die Herman de Vries Visionspflanzen nennt, vorzustellen. Herman erzählt eine Geschichte dazu: ,,Nachdem die Menschen mehr und mehr sozial konditioniert worden waren, trennten sich die angestammten und einstmals zusammenhängenden Gebiete Religion und Lebensraum. Doch noch immer gab es Pflanzen, die dem Menschen Frieden und die Erfahrung von Einheit gaben. Selbst in den dunkelsten Zeiten wußten die Frauen den Weg, genau, wo die Beeren wuchsen, die uns sehend machen in der Nacht. – Hinter dem Haus, wo der Schmutz liegt, fanden wir das Kraut, das sich schützt durch so unangenehmen Geruch, das uns aber die letzte Chance bietet, uns eine Vision zu schenken, die uns sehend macht, was jenseits von sozialer und technischer Konditionierung den Geist bewegt und Freiheit ist.“
Dies, so sagt Herman de Vries, ist das wahre Sein, dessen Wunder darin besteht, daß es ist. Mitten in der Eingangshalle des Osthaus-Museums liegt der Lavendelkreis, duftend so betörend mitten im März und die Farbe so herrlich ins Lila verblassend, im ganzen etwa fünf Meter im Durchmesser. Im Hintergrund der Halle, in die strahlendes Licht fällt, die Monumenta lamiae – die Hexendenkmäler. Diese vierteilige Arbeit von de Vries, asymmetrisch angebracht, präsentiert die vier wichtigsten Hexenkräuter. Ganz links Eisenhut, der für Gift steht; rechts daneben Mutterkorn auf einer Roggenähre wuchernd, steht für Geburtshilfe, wirkt gefäßerweiternd, in höheren Dosierungen auch abtreibend. In der Mitte die Tollkirsche, sie steht für die geistbewegenden Pflanzen und Liebesmittel. Rechts außen Baldrian, und zwar als Pflanze der Enthexung. De Vries schreibt in seinem Buch ,,To be“: ,,Wer die Hexen waren, wie sie lebten, was sie taten, ist nach ihrer Ermordung durch die Öffentlichkeit und die Geschichtsfälschung nicht mehr genau im einzelnen feststellbar. Die Pflanzen, die sie verwendeten, haben überlebt. Ihr Geist, ihre Wirkungen und Kräfte sind noch da. Sie lassen sich noch immer erfahren.“
Herman de Vries hat für seine geistbewegende Kunst wunderbare Hilfe zur Seite, wenigstens im Osthaus-Museum, wo Sally Webers Hologramme strahlen. Eingesetzt in den weiträumigen Lichthof, wo sie die Fensterscheiben ersetzen, bricht das Sonnenlicht in sämtlichen Spektralfarben herein. Und inmitten dieser Lichtglut ein Haufen, gut zwei Kilogramm, Mutterkorn. Die Eingeweihten wissen: Daraus hat Albert Hofmann einst das LSD gemacht.

Thomas Illmaier

Bilder: 1 Foto mit Herman de Vries
2 Fotos der „Natural Relations“ in der Austellung „to be“ von Herman de Vries im Osthaus-Museum.

Zschr. Hanf, 5/1996, S. 12-14.
Die Autorenverwechselung wurde in Zschr. Hanf, 6/1996, S. 62 berichtigt.

 

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