Jurai StykDie Farben des Himmels und der Hölle
Forscher begingen das Jubiläum „50 Jahre LSD“ mit einem Symposium
Von Thomas Illmaier

Die Auswahl der Forscher, die kürzlich in Lugano am Symposium ,,50 Jahre LSD“ teilnahmen, war streng vorgenommen worden. Wer in den Ruch gekommen war, die Droge spirituell eingesetzt und den Boden der reinen Wissenschaftlichkeit verlassen zu haben, wurde gar nicht erst eingeladen. So fehlten bedeutende Namen wie Stanislav Grof auf der Teilnehmerliste, von Timothy Leary ganz zu schweigen. Selbst die Ärzte der Schweizerischen Psycholytischen Gesellschaft, die mit dem Einsatz von LSD psychotherapeutisch gearbeitet hatten, wurden im offiziellen Vortragsprogramm nicht berücksichtigt, sondern mußten sich wie Juraj Styk, der Präsident der Schweizerischen Ärztegesellschaft für psycholytische Therapie, mit einem Beitrag während der allgemeinen Diskussionsrunde begnügen. Als Sprecher im gedrucktem Programm wurden sie nicht aufgeführt. Dabei nahmen immerhin rund achtzig Gäste an diesem Symposium teil, unter ihnen 17 Sprecher aus den Bereichen Pharmakologie, Psychopathologie und Psychotherapie.
LSD ist eine Droge, die sehr komplex auf das menschliche Gehirn wirkt; neuere Grundlagenforschungsprojekte in der Schweiz, Deutschland und den USA befassen sich mit LSD oder verwandten Stoffen. LSD wurde 1943 in den Labors des Schweizer Pharmakonzerns Sandoz vor dem Chemiker Albert Hofmann entdeckt. Hofmann ist heute 88 Jahre alt. In Lugano referierte er, der 1943 von seinem Büro bei Sandoz in Basel auf die 50 Meter entfernt verlaufende Grenze zum Elsaß blickte, das damals von der deutschen Wehrmacht besetzt war, über die Geschichte der LSD-Entdeckung.
Hofmann erprobte LSD – Lysergsäure-diäthylamid – 1943 erstmals im Selbstversuch bei Sandoz. Er hatte die Substanz als erster und planmnäßig – auf der Suche nach einem auf die Gebärmutter wirkenden, blutstillenden Mittel – synthetisiert und war zunächst versehentlich damit in Berührung gekommen. LSD wird aus den aktiven Bestandteilen des Mutterkorns gewonnen, einem niederen Pilz (Claviceps purpurea), der auf Roggen und anderen Getreiden wuchert. Die Wirkung der Substanz entpuppte sich als Psychostimulans von bis heute unübertroffener Stärke. Die Einnahme von rund 50 millionstel Gramm genügt, um die Welt in ein völlig fremdes Spektrum, ein übernatürliches Licht oder die Farben der Hölle, zu tauchen. Hofmann, der Chemiker, hatte so etwas noch nie gesehen. Da die Weltwahrnehmung und in höheren Dosen LSD auch die Wachtraumwelt des Menschen den Charakter von „Modell-Psychosen“ annimmt, war LSD von jeher für die Psychiatrie von bedeutendem Interesse. Durch das massenhafte Konsumieren des LSD in den 60er und 70er Jahren als ,,Hippie-Droge“ und das daraufhin weltweit erfolgende Verbot der Substanz wurde die Erforschung der LSD-Wirkungsweise in den 70er und 80er Jahren jedoch sehr erschwert – ein Zustand, der in Lugano auch von LSD-Entdecker Hofmann eindringlich kritisiert wurde. Erst neuerdings werden wieder Forschungsprojekte in der Schweiz, den USA und Deutschland zu LSD und verwandten Drogen genehmigt.
Was LSD eigentlich sei, darüber waren sich die Teilnehmer durchaus uneinig. LSD sei eine ,,dreckige Droge“, befand Paul Herrling, Forschungsleiter beim Schweizer Pharmakonzern Sandoz, weil es auf verschiedene Zentren des Gehirns gleichzeitig wirke. Schwerpunkt der Forschung bei Sandoz, wo LSD nicht nur entdeckt, sondern auch produziert wurde, liege jetzt auf den „reinen“ Drogen, die gezielt auf ein bestimmtes Zentrum wirken. Der US-Neurobiologe John Lilly hingegen bezeichnete LSD immerhin als das wesentliche Hilfsmittel, um den „Stand der menschlichen Evolution“ zu testen.
Hanscarl Leuner, der die psychotherapeutische Forschung in der Universität Göttingen in den Jahren 1955 bis 1971 etablierte, sieht in Hofmanns Substanz das entscheidende Mittel, psychische Erkrankungen, die anders nicht mehr zu behandeln sind, der Heilung zuzuführen. Leuner war der erste Forscher auf dem Gebiet der LSD-Psychotherapie, der regelmäßig Konsultationen von Fachkollegen in Europa organisierte. Er entwickelte mehrere psychotherapeutische Prozeduren wie das inzwischen bekannte „Katathyme Bilderleben“ und war maßgeblich an der Entwicklung der psycholytischen LSD-Therapie beteiligt.
Zu den interessantesten Beiträgen aus dem Bereich der Psychopathologie gehörten die Referate von Franz Vollenweider aus Zürich und von Leo Hermle aus Göppingen. Vollenweider referierte über die Effekte von Psilocybin, einem LSD-verwandtem Stoff, und Ketamin auf den zerebralen Energie-Metabolismus. Seine Studien, die „Modell-Psychose“ betreffend, haben die Einsicht in die Beziehung von Gehirntätigkeit und Schizophrenie wesentlich erweitert.
Der Deutsche Leo Hermle, Leiter des Fachkrankenhauses für Neurologie und Psychiatrie „Christophsbad“ in Göppingen, erläuterte seine vom Bundesgesundheitsministerium genehmigte Versuchsreihe über die psychologische, neuropsychologische und metabolische Wirkung von Meskalin. Dieser Stoff kommt in natürlicher Form in dem Peyote-Kaktus Südamerikas vor. Hermle stützte seine Arbeit im wesentlichen auf den Pionier der Meskalin-Forschung Kurt Beringer, der sie in den 20er Jahren an der Universität Heidelberg etablierte. Hermles Untersuchung konnte unter anderem zeigen, dass die unter Einfluß von Meskalin erfolgenden psychischen und biologischen Vorgänge nicht kausal-verknüpfend, sondern lediglich zeitlich miteinander in Beziehung gebracht werden können.
Eine staatliche Genehmigung für den therapeutischen Einsatz von LSD zu bekommen, ist für Psychiater in Deutschland fast unmöglich. In der Schweiz ist sie nur unter sehr ,,ausgeklügelten“ Bedingeungen erhältlich. Juraj Styk, Präsident der Schweizerischen Ärztegesellschaft für psycholytische Therapie, arbeitet seit den 60er Jahren als Psychotherapeut mit LSD. Seine Schilderung, wie eine LSD-unterstützte Psychotherapie – am Beispiel eines 43 Jahre alten, verzweifelten Mannes, der vom Krebstod bedroht war – ausgestaltet werden kann, gab nicht zuletzt den Ausschlag, dass in der Schweiz über den psychiatrisch kontrollierten Einsatz von LSD erneut nachgedacht wurde. Styk hatte dem Patienten durch LSD eine Selbsterfahrung ermöglicht, die ihn in das Erleben seiner biographisch traumatischen Erfahrungen führte, besonders in die Konfrontation mit dem Tode und schließlich in die Entdeckung eine spirituellen Friedens in Verbindung mit einer geistigen Wiedergeburt. Die neue Einstellung zum Leben half dem Patienten, ein Jahr später friedlich im Kreise seiner Familie zu sterben.
Indessen schwelt der Streit zwischen „Medicis et Professoribus“ weiter, wie das LSD wissenschaftlich-therapeutisch eingesetzt werden sollte. Malcolm Lader von der Universität London machte dies in einer Warnung an die Praktiker unter den Ärzten deutlich. Solle der Einsatz von LSD wissenschaftlichen Kriterien standhalten, so hätten die Ärzte dies durch genaueste Versuchsanordnungen unter Beweis zu stellen.
Lader zeigte sich gut informiert: Er brachte aus Großbritannien ein LSD-Schwarzmarkt-Produkt mit, das zum Jubiläum „50 Jahre LSD“ und eben mit diesem Aufdruck sichergestellt worden war. Nicht nur Forscher, so Lader, feierten also Geburtstag.

Frankfurter Rundschau, Samstag, 20. Nov. 1993, S. 7.

Fotos
1) Entdeckte LSD 1943: Albert Hofmann.
2) John Lennons Beatles-Song „Lucy in the Sky with Diamonds” gilt als LSD-inspiriert. Der massenhafte Konsum der Droge in den 60er und 70er Jahren führte zum Verbot; die Erforschung ihrer Wirkungsweise wurde erschwert.


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