DIE
HEILIGEN IM NIRVANA
OSKAR SCHLEMMER UND DER BUDDHISMUS
THOMAS ILLMAIER
Oskar Schlemmer (1888-1943) wurde als Lehrer am Bauhaus,
wo auch Kandinsky und Paul Klee unterrichteten, berühmt. Wie die meisten
Künstler seiner Generation wurde auch Schlemmer durch die Nazis geschlagen
und galt im Dritten Reich als ,,entartet“.
Schlemmer hat sich
in seinem ganzen Leben einem höchst diffizilen Problem gewidmet, nämlich
dem Menschen und dem Raum. Wie sind Menschen und der sie umgebende Raum in
Beziehung zueinander zu setzen? Raum in den Bildern Oskar Schlemmers hat immer
einen ganz besonderen Aspekt: Offener Raum. geschlossener Raum, geteilter
Raum oder als Bühne. Schlemmer fand, daß der Mensch als Tänzer
in der Lage ist, alle Möglichkeiten des Raumes auszuschöpfen, zu
erfahren und erfahrbar zu machen. Für die Bühne des Bauhauses entwirft
Schlemmer den kosmischen Tänzer, der ,,sowohl dem Gesetz des Körpers
als dem Gesetz des Raumes: ... sowohl dem Gefühl seiner selbst wie dem
Gefühl vom Raum“ folgt. Der Raum birgt alle Möglichkeiten
der Bewegung und damit der Kreation. Aber Raum ist nicht abstrakt in seinem
Dasein als kosmischer Raum. in dem der Mensch nach einem Wort Ernst Jüngers
,,auch die Freiheit“ entdeckt. Raum und Freiheit sind untrennbar miteinander
verbunden.
In der buddhistischen
Überlieferung gelten Nirvana und Raum (akasa) als ,,nah verwandte Konzepte“.
Denn die Eigenschaften des Raumes: Leere, Offenheit, Unbegrenztheit, Freiheit
sind mit denen des Nirvana identisch: ,,Wie Vögel im Raum umherfliegen,
so bewegen sich die Heiligen im Reich des Nirvana.“
So lautet eine viel
gesprochene Redewendung in alten buddhistischen Texten. Wie wird man des Raumes
inne? Durch die Ruhe der Meditation. ,,In der Meditation“, lesen wir
bei Edward Conze. ,,kann Raum als eine Art Gleichnis für die Leere als
höchste Wirklichkeit betrachtet werden.“
Oskar Schlemmer verfolgte
die buddhistische Konzeption des Raumes als Nirvana seit den frühen Kriegstagen
von 1914. Im Felde notiert er in sein Tagebuch (12. Juli 1915): ,,Wir biwaken
in einem russischen Dorf. (...) die Zelte von innen, die grauen transparent
und grüngrau. die braunen rostrot, – die Farben meiner Bilder.
Ich sehe mich satt an der Pracht der Farben. der anders grüne Boden,
die grauen Soldaten, und ich genieße und rauche und suche die Ruhe,
die buddhistische Ruhe, die mir auch auf dem Marsch gelang.“
Schlemmer kultivierte seine ,,buddhistische Ruhe“. Die Nazis hatten
ihm und seinen Freunden die Hölle heiß gemacht.
Willi Baumeister,
der Wegbereiter der gegenstandslosen Kunst, von der Kasimir Malewitsch sagt,
sie sei das ,,befreite Nichts“, berichtet: ,,Unter dem Eindruck dieser
Hetze (der Nazis, Anm. d. Verf.) erschoß sich Kirchner in der Schweiz.
Barlach wurde in Güstrow von der verhetzten Hitlerjugend verhöhnt.
Man warf mit Steinen nach ihm. Klee starb in der Emigration, nachdem seine
Wohnung mehrfach von der Gestapo durchwühlt wurde.“ Schlemmer starb
in Baden-Baden 1943. die Nazis hatten den Zenit ihrer Macht erklommen, als
Deutschlands Städte unter dem Bombenhagel der Alliierten starben.
Schlemmer wußte,
daß der Naziterror der Grund für seine immer schlechter werdende
psychosomatische Verfassung war.
Er war einsichtig
genug: ,,Hier müßte aber ein Psychiater her, die Verstrickungen
und Verquickungen zu lösen.“ Als es dem Ende zuging. schreibt er
ins Tagebuch 20. Februar 1943): ,,Wenn ich an die verschiedenen ‚verfügbaren’
Götter denke, die ich mir einverleiben könnte, assimilieren, um
in einen nun wünschenswerten Zustand zu gelangen. so sehe ich immer wieder
nur den breiten und gelassen in sich ruhenden Buddha.“
In der Ruhe der Meditation entdecken wir den Raum.
Das geschieht auch
in den Bildern von Oskar Schlemmer. Die Menschen in seinem Schlüsselbild
von 1930 ,,ZwöIfergruppe mit Interieur“ sind mitnichten als ,,Kühle
Gesellschaft“ zu betrachten, wie Claudia Szczesny-Friedmann unter Verwendung
eines Schlemmer-Bildes auf dem Schutzumschlag ihr Buch nannte.
Es sind Menschen
dargestellt. die den Raum als gegenstandslose Kraft der Freiheit entdecken.
Der geschlossene Raum zur Linken, der seine Tücken hat, wird von der
Frau darin behutsam, wie ihre Geste der achtsam ausgestreckten Hand zeigt,
erfahren. Zur Rechten ebenfalls ein geschlossener Raum, der jedoch durch das
große Fenster in die Offenheit des kosmischen Raumes sich weitet.
Die Erfahrung der
Spiritualität wird durch die Haltung der erhobenen Hände angedeutet.
Das Sanskritwort für Raum ist akasa. Unter dem Einfluß altindischer
Überlieferungen wird der menschliche Erfahrungsraum – akasa –
von dem Stamm kas, ,,leuchten, scheinen“, abgeleitet. Akasa bedeutet
auch die Abwesenheit von Materie. ,,weil darin“, wie Conze schreibt.
,,die Dinge ,strahlend leuchten’“. So leuchtet auch die Buddhanatur
strahlend rein.
Die Frage, die Schlemmer leitete: ,,Wie existieren?“ gibt auch schon
die Antwort: ,,Auf den Versuch
hin. Man hat ja Freunde. Vita Nuova.“
Auf den Versuch hin
leben. Nirvana zu entdecken.
Das geschieht überall: Freunde können dabei helfen, durch Ruhe der
Meditation, die Achtsamkeit auf den Raum. Nirvana zu entdecken.
Bild: „Zwölfergruppe mit Interieur“ von Oskar Schlemmer.
Ursache & Wirkung, Wien, 18/1996, pp. 58-59.