Rede

ZAPFENKNACKEN
Zur Kunst von Arnold Povilonis

von Thomas Illmaier

Sie alle haben die Einladungskarte zur heutigen Ausstellung einer Serie von Bildern des nordelbischen Malers Arnold Povilionis erhalten. Das Bild auf Ihrer Einladungskarte heißt „Zapfenknacken“. In diesem Bild gewinnen die Kompositionsprinzipien, nach denen Arnold Povilionis arbeitet, Reife und eine frei schwingende Sicht.
Normalerweise sind dem Bild durch die Ränder der Leinwand Grenzen gesetzt. Anstatt mit dem Blick aus dem Bilde auszubrechen, zwingt uns der Künstler, erneut hinzuschauen, um das Bild im Bilde zu entdecken. Gleichermaßen wie eine Lupe hebt das Bild im Bilde einen zusätzlichen Fokus der Betrachtung ins Gesicht der Wahrnehmung. Dieser Fokus, dieses Fenster ist nicht vom Gesamtbilde verschieden, obwohl formal geschieden - vielmehr setzt es dem Betrachter, dessen Blick ansonsten im Ungeschiedenen des amorphen und fraktalen Hintergrundes ruht, akzentuierte, pointierte Lichter auf. Das bedeutet Erkenntnis.
Aha, werden Sie denken, und tatsächlich meinen wir immer, der Verstand müsse begreifen, was er sieht. Aber da der Verstand sich nicht selbst sehen kann, wird er vergeblich nach einer rationalen Lösung, einer Antwort suchen, in dem Versuch gefangen, mit Hilfe der Rationalität die Bedeutungsschichten der Bilder dieses Norddeutschen zu begreifen. Ähnlich wie die Bilder Max Beckmanns entziehen sich die Bilder von Arnold Povilionis den rationalen Kategorien eines vom Verstand nicht fassbaren Bedeutungsinhaltes.
Willi Baumeister, einer der Väter der gegenstandslosen Kunst, lehrte seine Studenten den Unterschied von Sehen und Schauen. Sehen ist das, was wir mit Namen kennen. Ah, das ist eine Pfeife, auch wenn es nur das Abbild einer Pfeife ist - René Magritte pflegte das Beispiel zu traktieren, um die Hintergründigkeit und den Underground des Surrealismus zu demonstrieren. Es geht aber nicht ums Sehen sondern ums Schauen im Baumeisterschen Sinne: Schauen, was die Welt im Innersten zusammenhält - und der Rest ist Schweigen.
Ich möchte Sie einladen, sich den Bildern des Künstlers schauend zu nähern. Sie werden entdecken, dass die Feuerwelten des „Zapfenknackens“ die rationale Beschränktheit einfach verbrennen. So geläutert entstehen höchst erotische Bilder wie die „Feuerserie“ von 1999; Erotik nicht im Sinne von Sexualität, nicht nur, sondern im Sinne der musischen Befeuerung, so in den herrlich kontemplativen Bildern „Die Pflanzer“, „Zeitungsleser und Frau“ oder „Die Rede des Alten“.
Dass Sie spielend hineinkommen in das Werk, erleichtern die figürlichen Zweier-, Dreier- und multiplen Kompositionen, in denen der Mensch in den Vordergrund rückt. Beziehungen, Alltägliches im Fenster der Erkenntnis, des malerischen Gefüges, in denen die Ruhe, die Vita contemplativa, der kreativen Vita activa die höchstmögliche, ästhetisch rein zum Betrachter sprechende Balance, die Waage hält. So entsteht ein Ganzes von außerordentlicher Schönheit.
Bitte, geben Sie Ihren Verstand an der Garderobe ab! Tun Sie das nicht beim Psychiater, aber tun Sie es, wenn Sie die Welt der Kunst mit ihrem Blick erschließen; ihre anfeuernde Erkenntnis, die nichts mit Beschaulichkeit zu tun hat, aber mit einem Schauen, das den ganzen Menschen umfasst und ihn damit in seiner ursprünglichen Alltäglichkeit gewissermaßen verzaubert.
Ein Hauch von Romantik wohnt in den schönen Dingen und den Fenstern mit ihren Ausblicken, das Weiteste im Ungesonderten mit der Nähe des verständlich Alltäglichen verbindend.

(Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung, Backstubengalerie Wuppertal, 20. Aug. 1999.)
ARNOLD POVILIONIS
Bilder aus den 90ern

Backstubengalerie Wuppertal
20. August bis 15. September 1999


Presseerklärung

Der in Kaunas/Litauen 1954 geborene Maler Arnold Povilionis, heute in Geesthacht bei Hamburg ansässig, zeigt neue Bilder aus den 90er Jahren. Ein wesentliches Merkmal seiner Kunst sind seine Bilder im Bilde, Fenster genannt, in denen er dem Betrachter das Bild durch das Bild im Bilde erschließt. Dabei handelt es sich nicht um Variationen des Urbildes, sondern gewissermaßen um die genetische Fokussierung eines größeren, folglich transpersonalen Hintergrunds, der aber im Fenster, das wie für den Menschen gemacht zu sein scheint und oft aus seiner alltäglichen Erfahrung genommen ist, als ein Déjà-vu-Erlebnis zum Betrachter spricht.
Die Farblichkeit reicht von dunklen, mitunter mystische Anklänge evozierenden Braun- und Schwarztönen bis hin zu Aufhellungen höchster sinnlicher Erotik in Gelb und Orange und satten Rottönen. Der Mensch steht dabei im Vordergrund, aber immer so, dass seine Alltäglichkeit durch die unwiederholbare Eindrücklichkeit des Augenblicks in höchste Transzendenz zu münden scheint.
Arnold Povilionis’ Bilder sprechen direkt zum Betrachter, weil sie am menschlich kommunizierbaren Aspekt unseres Daseins anknüpfen, aber genauso viel Raum lassen für das Unfassbare, in Begriffen nicht fixierbare Geschehen unseres in jedem Moment ins Transzendente mündenden Lebens und es somit auch in seiner malerischen Perspektive offenhält. TI


Künstlerkontakt

Backstubengalerie, Schreinerstr. 7, D-42105 Wuppertal, Tel. 0202 - 30 43 16.
Öffnungszeiten: mi 16-19, do + fr 17-20, so 11-14 Uhr und nach Vereinbarung.
Foto Einladungskarte: Zapfenknacken von Arnold Povilionis, 1999;
Mischtechnik auf Leinwand, 115 cm x 130 cm.

 

Seite Drucken zur Übersicht | Startseite