Auf Suche nach dem Samariter
Um Isolationen aufzubrechen, läuft in Hagen die erste deutsche Kunstausstellung „Thema: AIDS“

Künstler waren die ersten, die auf AIDS aufmerksam machten. Sie waren und sind –Amerika zeigt das – auch die mit am stärksten von der Immunschwäche-Krankheit betroffene Gruppe. Und sie waren es, die schon Mitte der 80er Jahre ihre soziale Isolation aufbrachen und öffentlich auf ihm HIV-Infektion aufmerksam machten.
Das rechtfertigt an sich schon eine Kunstausstellung zu AIDS, wie sie jetzt das Karl Ernst Osthaus-Museum in Hagen als erste dieser Art zeigt.
Direktor Michael Fehr geht noch einen Schritt weiter. Dazu sei an die Werbekampagne von »United Colors of Benetton« erinnert, die mit AIDS-Fotos die Öffentlichkeit schockierte. Somit wird die Frage drängender: Welche Stellung bezieht ein Kunstmuseum in diesem Bilderstreit? „Müßte es sich”, so Dr. Fehr, „nicht aktiv einmischen? Kann es weiter auf seiner passiven Rolle als historischer Speicher bestehen?“ Sigrid Sigurdsson bringt ibren Anspruch von Kunst unmißverständlich zum Ausdruck und präsentiert zum Thema AIDS ihren Objektkasten mit Gegenanzeige zur Benetton-Werbung: „Während des Todeskampfes geht der Verkauf weiter“ (1993).
»Thema: AIDS« im Osthaus-Museum läßt denn auch nichts zu wünschen übrig. Der Betrachter fühlt sich an seinem Realitätssinn gepackt. Eingangs betritt der Besucher den »Denkraum«, das »Kalte Tor« von Tom Fecht, das große Pflastersteine – sogenannte Katzenköpfe – übereinander schichtet. Inmitten der so entstehenden Mauer finden sich Gravuren in den Steinen: die Namen von an AIDS verstorbenen Menschen. Die Reduzierung auf das Denkbare, mitunter Persönliche einer ansonsten namenlosen wie erschreckenden Zahl: 13 Millionen Menschen sind weltweit an AIDS erkrankt, darunter eine Million Kinder. In Amerika stirbt jeder fünfte Jugendliche an AJDS.
Die anklagenden und entlarvenden Bilder von Frank Moore (USA) mit seiner »Great America Travelling Medicine Show«, seinem »Hospital« und seiner »Arena«, wo unter der Parole »Mors ultima linea rerum« der Mensch pneumatisch sichtbar seine Seele aushaucht.
Unbarmherzig bohrend sind die »Poison Darts« (GiftWurfpfeile), deren Spitze in eine Ampulle mündet, in die Barton Benes (USA) sein mit HIV infiziertes Blut aufgezogen bat.
Diese lebendigen Kunstwerke, oft von sterbenden Künstlern gearbeitet, sprechen eine eindringlichere Sprache als die vielen amtlichen Kampagnen, die »Thema: AIDS« repräsentativ ebenfalls zeigt: mit Plakatserien, Broschüren und anderen Dokumenten, die insbesondere »Safer Sex« propagieren.
Die Kritik an den herrschenden Mächten, Kirche und Staat, fehlt nicht, weil sich viele AIDS-Kranke alleingelassen fühlen. Sie werden von der Gesellschaft fallengelassen und ausgegrenzt. Ein Bewußtseinswandel »AIDS kann jeden treffen« kündigt sich erst langsam an, dramatisch befördert durch die Skandale um die HIV-infizierten Blutkonserven. Bundesgesundheitsminister Seehofer sagte seine Teilnahme zur Ausstellungseröffnung im Osthaus-Museum kurzfristig wieder ab. Gern hätte man ihn zum Spenderblut Skandal befragt...
Die AIDS-Hilfe verschlingt weltweit Milliarden. In der Museumsstadt Hagen gibt es eine Reihe ambulanter Hilfsstationen und Krankenhäuser, die auf AIDS-Hilfe eingerichtet sind, etwa das Krisen-Interventions-Zentrum im Evangelischen Krankenhaus Elsey.
Eine sehr lebendige Anteilnahme am »Thema: AIDS« zeigten die Schülerinnen der Klasse 11 des Theodor Heuss-Gymnasiums Hagen. Sie befragten die anwesenden Museumsgäste gezielt nach Ihrer Einstellung zu AIDS. „Ich wünsche mir mehr seelischen Beistand“, lautete eine der Antworten, die, an frische Rosen gebunden, später wieder an die Gäste verteilt wurden. So lernte man auch die Einstellung des Nachbarn kennen.
Thomas Illmaier

»Thema: AIDS« noch bis 9. Januar 1994; statt eines Katalogs erscheint eine Zeitung zu
5 DM (2 DM Spende an den AIDS-Hilfe Hagen e.V.)

Bild: Keith Haring »Ignorance = Fear, Silence = Death«, Plakat, 1989.

Junge Welt, 10. Dez. 1993, S. 12.

 

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