AMADEO
MODIGLIANI
von Thomas Illmaier
Künstler rauchen Haschisch. Das war schon immer so.
Aber erst neuerdings ist das verpönt, und die Kritik neigte dazu, den
Haschisch rauchenden Künstler zu verteufeln. Picasso z.B., der den Haschisch
seit seiner Jugend kannte, war deswegen vorsichtig geworden:
„Ist das nicht
mittlerweile verboten?“ fragt er den Fotografen Sanford Roth, als der
ihm einen Reefer anbietet, um ihn damit zu fotografieren. Roth: „Ich
glaube: Ja.“ „Dann“, entgegnet Picasso, „muß
ich das wohl ganz schüchtern halten, wenn es doch etwas Verbotenes ist.“
Maler wie Gustav Klimt, Alfred Kubin und andere traten offener auf. Klimt,
nachdem er geraucht hatte, zeichnete stundenlang. Für die meisten aber
war der Haschischrausch Grund zur Kontemplation: Man wurde sich bewußt,
ohne zu agieren. Zudem war das Rauchen des meist über Frankreich importierten
Haschischs unter Künstlern und in Künstlerkreisen ganz normal, nichts
Außergewöhnliches. Hans-Georg Behr berichtet in seinem großen
Buch „Von Hanf ist die Rede“, daß nach dem Zeugnis von Paris
Gütersloh, einem Maler und Dichter, das Rauchen von Haschisch in den
ersten zwanzig Jahren dieses Jahrhunderts etwas ganz Normales war, wenigstens
in Künstlerkreisen:
„Jeder aus
meiner Generation“, so Gütersloh, „hat seine Bekanntschaft
mit Haschisch gemacht, und wenn ich durch die Akademie gehe und schnuppere,
bin ich sicher: auch jeder aus meiner Klasse zumindest. Sind wir deswegen
alle Hasch-Künstler? Das wäre doch lächerlich. Ich glaube,
man sollte nicht zu viel Sensation um die Sache machen, auch nicht von staatlicher
Seite - das wäre eine unnötige Dramatisierung, die höchstens
zu verwirrenden Mißverständnissen führen würde und Probleme
schaffen, wo von sich aus gar keine oder nur minimale entstehen könnten.“
Im Zentrum der Kunst,
in Paris zu Beginn des 20. Jahrhunderts, sehen wir die Giganten der Kunst
am Werk: Picasso, Braque, Modigliani, auch der Bildhauer Brancusi gehört
dazu. Sie kennen sich untereinander, teilen sich mitunter ihre Ateliers. Matisse,
Derain, Dufy und viele anderen bahnen sich über Paris ihren Weg in der
Kunst, werden berühmt; ihre Werke kann heute kaum mehr ein Mensch bezahlen.
Amadeo Modigliani
(1884-1920) hatte aber mehr als die anderen großen Maler unter der Kritik,
ein „Rauschgiftkünstler“ zu sein, zu leiden gehabt. Noch
nach seinem Tode hing ihm dieses Etikett an. Modigliani wurde berühmt,
aber erst nach seinem Tode, durch seine sinnlichen Akte, die schönsten
Frauen, die man sich vorstellen kann. Damals, als der Begriff Rasse nicht
nur für Pferde, sondern auch für Menschen verwendet wurde - bevor
ihn die Nazis endgültig verpönten, sagte Modigliani von seiner Kunst:
„Was ich suche,
ist nicht das Wirkliche und auch nicht das Unwirkliche, sondern das Unbewußte,
das Mysterium des Instinktiven der Rasse.“
Modigliani ließ sich von allen Kulturen der Welt inspirieren, namentlich
von der afrikanischen, der europäischen, besonders der griechischen und
der fernöstlichen buddhistischen Kunst. Seine von afrikanischen Vorbildern
inspirierten Skulpturen liebte er so sehr, daß er „im Haschischrausch
diese Skulpturen zu umarmen pflegte.“ So berichtet sein Zeitgenosse,
der Bildhauer Jacob Epstein. Seine Skulpturen müssen auf seine Freunde
eine mysteriöse Ausstrahlung gehabt haben. Der Maler und Radierer Augustus
John berichtet gar:
„Die steinernen
Köpfe berührten mich tief. Noch Tage später geschah es mir,
daß ich auf der Straße Leute sah, die für sie Modell gestanden
haben könnten, und ich hatte diese Halluzinationen, ohne daß ich
unter dem Einfluß von Marihuana gestanden hätte. Sollte ‘Modi’
einen neuen und geheimen Aspekt der ‘Wirklichkeit’ entdeckt haben?“
Modi war ziemlich krank: Tuberkulose. Er war arm (erst nach seinem Tode schnellten
die Preise seiner Bilder in die Höhe), er nährte sich schlecht,
war dauernd verliebt und geradezu besessen von seiner Kunst, von der er wußte,
daß sie ihn eines Tages berühmt machen würde. Zu seinen Leidenschaften
gehörte nicht nur der Haschischrausch, die Liebe und die Kunst, sondern
auch das Schockieren seiner Zeitgenossen.
„Dann und wann“,
berichtet Jacob Epstein, „gab er sich einer Leidenschaft hin, die er
als ‘anschnauzen’ (engueuler) bezeichnete. Und alle Leute, die
er dann aus tiefster Seele mit seinen heftigen Beschimpfungen attackierte,
hatten es sich, wie mir schien, mit ihrem Dünkel und Schwachsinn aufs
redlichste verdient.“
Doch war Modi, wie
Epstein zugesteht, im Umgang mit Freunden „charmant, er konnte geistreiche
Gespräche führen und war völlig unaffektiert.“ Diese
Ungezwungenheit gepaart mit ‘Schnauze’ lernte auch seine spätere
Liebe, die Schriftstellerin Beatrice Hastings, kennen. Sie nannte ihn eine
Perle und ein Schwein. Sie traf ihn zuerst in einer Konditorei, Paris 1914:
„Ich saß
ihm gegenüber. Haschisch und Brandy. War nicht besonders beeindruckt.
Wußte nicht, wer er war. Er sah häßlich, wild, gierig aus.
Traf ihn wieder im Café Rotonde. Er war rasiert und sah bezaubernd
aus. Zog seine Mütze mit einer hübschen Bewegung, errötete
und bat mich, mit ihm zu kommen und mir seine Werke anzusehen. Und ich ging.“
Dieselbe Frau aber schrieb über ihren Liebhaber Modi auch: Er „vollbrachte
niemals etwas Gutes unter dem Einfluß von Rauschgiften.“
Immerhin hat Modis
Genius ausgereicht, seine Kunst zur Reife zu führen, und zwar mit dem
heute verbotenen Stoff, der einstmals der Liebesgöttin Freyja aus Germanien
heilig war. Modiglianis Frauen gehören in einem Hanfgarten, wie er einer
Göttin gebührt, ausgestellt, darin nämlich blühen sie
am schönsten.
Amadeo Modigliani
hat aber auch tragische Figuren, besonders Frauen, gemalt: ‘Nudo dolente’
(leidender Akt) gibt davon Zeugnis. Daß er bei seiner unheilbaren Krankheit,
seiner Armut und der fast völligen Ignoranz seiner Zeitgenossen dennoch
so viel Schönheit in die Welt setzte, bleibt ein Wunder. Wirken auf uns
Heutige seine Bilder noch genauso wie damals, als Augustus John glaubte, sich
durch Modiglianis Bilder in eine andere Wirklichkeit versetzt zu sehen? Dem
Zauber von Modiglianis Bildern kann sich auch heute niemand entziehen. Wieviel
Anteil der Haschisch an seiner Kunst hat, bleibt indessen wohl für immer
ein Rätsel. Ein Geheimnis, dem Paris Gütersloh wohl auf die Spur
kommt, wenn er sagt:
„Sicherlich, auf manchen meiner Bilder kann ich durch eine bestimmt
Farbigkeit erkennen, daß ich damals, nun ja, Haschisch geraucht hatte.
Aber diese Farbigkeit, die ich dabei sah, wirkte sich ja auf alle meine Bilder
aus.“ Und diese Farbigkeit und der erotische Glanz auf Modiglianis Bildern
geben eben dem Gesamtwerk des Künstlers seinen unnachahmlichen Ausdruck.
Zschr. Hanf, 3/1999, S. 20-21.
Bilder von Modigliani
Modigliani: Sitzender weiblicher Akt, 1916
Modigliani: L’Algérienne, 1917.
Modigliani: Frauenkopf, 1911/12.
Modigliani: Nudo dolente, 1908.
Modigliani in seinem Atelier in Paris, um 1909.