Robert MapplethorpeIm Karl Ernst Osthaus-Museum Hagen:
Beiträge von Künstlern aus aller Welt zu einem Thema, das alle angeht – AIDS
Doch der Minister sagte ab
Von THOMAS ILLMAIER

Künstler waren die ersten, die auf Aids aufmerksam machten. Sie waren und sind – Amerika zeigt das – jene Gruppe, die mit am stärksten von der Immunschwächekrankheit Aids betroffen ist. Sie waren es auch, die schon Mitte der 80er Jahre ihre soziale Isolation aufbrachen und öffentlich auf ihre HIV-Infektion aufmerksam machten.
Diese Gründe rechtfertigen an sich schon eine Kunstausstellung zum Thema Aids, wie sie jetzt im Karl Ernst Osthaus-Museum in Hagen – die erste deutsche Kunstausstellung dieser Art – gezeigt wird. Michael Fehr, Direktor des Museums, geht aber noch einen Schritt weiter. Ihm ist es darum zu tun, mit den Mitteln der Kunst Stellung zu beziehen. Vor allem, da die Werbekampagne der Weltfirma United Colors of Benetton, die mit Aids-Bildern die Öffentlichkeit schockierte, eine Frage noch dringender machte, die Dr. Fehr bewegt: ,,Kann ein Kunstmuseum weiterhin auf seiner passiven Rolle als historischer Speicher bestehen?“ – Sigrid Sigurdsson (Deutschland) gibt darauf gleichsam eine Antwort, wenn sie ihren Anspruch einer kritischen Kunst unmißverständlich in einem Objektkasten mit Gegenanzeige zur Benetton-Werbung formuliert: ,,Während des Todeskampfes geht der Verkauf weiter“ (1993).
Die Ausstellung – rund 500 Objekte, darunter Fotos, Gemälde und Installationen – läßt denn auch nichts zu wünschen übrig. Der Betrachter fühlt sich in seinem Realitätssinn gepackt. Eingangs betritt der Besucher den ,,Denkraum“, das ,,Kalte Tor“ von Tom Fecht (Deutschland) mit übereinandergeschichteten großen Pflastersteinen, sogenannten Katzenköpfen. Inmitten der so entstandenen Mauer finden sich Gravuren auf Steinen: die Namen von an Aids verstorbenen Menschen. Die Reduzierung auf das Denkbare, auch Persönliche einer ansonsten namenlosen wie erschreckenden Zahl: 13 Millionen Menschen sind weltweit an Aids erkrankt, darunter eine Million Kinder. In Amerika stirbt jeder fünfte Jugendliche an Aids.
Da sind die anklagenden und entlarvenden Bilder von Frank Moore (USA) mit seiner „Great American Travelling Medicine Show“, seinem “Hospital“ und seiner ,,Arena“, wo unter der Parole ,,Mors ultima linea rerum“ der Mensch pneumatisch sichtbar seine Seele aushaucht. Und die unbarmherzig bohrenden ,,Poison Darts“, Wurfpfeile, deren Spitze in einer Ampulle mündet, in die Barton Benes (USA) sein HIV-infiziertes Blut aufgezogen hat. Sie gehören zu den lebendigen Kunstwerken, die zum Teil von sterbenden Künstlern geschaffen wurden. Sie sprechen eine viel eindringlichere Sprache als die vielen amtlichen Anti-Aids-Kampagnen aus der ganzen Welt, die ebenfalls gezeigt werden. Darunter sind Plakatserien, Broschüren usw., insbesondere ,,Safer Sex“ propagierend, dokumentiert.
Die Kritik gegenüber den herrschenden Mächten, Kirche und Staat, fehlt ebenfalls nicht, weil sich viele der Aids-Kranken alleingelassen fühlen; denn sie werden von der Gesellschaft fallengelassen, ausgegrenzt. Ein Bewußtseinswandel ,,Aids kann jeden treffen“ kündigt sich langsam an, dramatisch ausgelöst durch die jüngsten Skandale der HIV-infizierten Blutkonserven. Bundesgesundheitsminister Seehofer hatte seine Teilnahme zur Ausstellungseröffnung im Osthaus-Museum kurzfristig wieder abgesagt. Gerne hätte man ihm auch zum Spenderblut-Skandal einige Fragen gestellt.

Osthaus-Museum Hagen:
,,Thema: Aids“. Bis 9. Januar 1994, Di-So 11-18, Do 11-20 Uhr. Es erscheint kein Katalog, sondern eine Zeitung zum Preis von 5 DM, deren Erlös zum Teil der AIDS-Hilfe zugute kommt.
Neues Deutschland, 4./5. Dez. 1993, S. 6.

Bild : « Selbstportrait » von Robert Mapplethorpe.


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