Die
Ausstellung René Magritte - ,,Die Kunst der Konversation“ in Düsseldorf
Erster bewußter Kontakt mit der Welt
René Magritte kann man sich nur intuitiv nähern;
denn der Verstand beugt sich seinen Bildern nicht, entlockt ihnen damit auch
nicht ihr Geheimnis, das demütig empfangen werden will. Magritte war
Katholik – und zwar ein tief gläubiger. Dies verbindet ihn mit
Salvador Dalí, der nach den anfänglichen Eskapaden mit den Surrealisten
und ihrer ,,Wissenschaft“ ebenfalls heimfand zum Ursprung der Kirche,
wenigstens zur katholischen Kirche Spaniens. Magritte hatte eine lebendige
Beziehung zum Mysterium, dem Geheimnis, das sich hinter verschlossenen Türen
verbirgt. Die Begegnung mit dem Mysterium schildert Magritte aus den Tagen
seiner Kindheit: ,,Ich hatte dieses Gefühl (des Mysteriums) beim Betrachten
eines Kastens empfunden, der sich eines Tages neben meiner Wiege befand.“
Für Magritte war dies auch der erste bewußte Kontakt mit der sichtbaren
Welt.
Das, was Magritte
sah und wir alle sehen, genügte ihm vollkommen, das Mysterium zu gestalten.
In dieser Hinsicht ist ,,Die Ewigkeit“ ein Meisterwerk; Magritte malte
es 1935. Es zeigt den Dulder Christus und den Tatmenschen der Renaissance,
der Dantes Züge trägt. Der Täter nährt sich vom Dulder
und hält so den Weltprozeß in Gang. ,,Gestaltung. Umgestaltung.
des ewigen Sinnes ewige Unterhaltung“ (Goethe).
Magrittes Bilder
wirken, weil ihre Aussage nicht allein auf den Verstand, sondern auf die Bilder
der Seele gegründet ist. Es macht einen Unterschied, ob wir uns der Bedrohung
durch Panzer und Raketen, die wie eine Naturkatastrophe über uns hereinbrechen,
oder ob wir uns der Bedrohung durch personifizierte Urgewalten bewußt
werden. René Magritte erinnert mit seinen Raubvögeln an die Angst,
die uns seit Beginn der Evolution zutiefst ins Stammhirn eingeschrieben ist,
an die Urangst des Menschen zu existieren und den damit verbundenen Fluch,
sich behaupten zu müssen. Das Mysterium kleidet Magritte in das Kostüm
des banalen Alltags, was seine Bilder umso wunderbarer erscheinen läßt.
Werden wir uns eines
Problems im Wachbewußtsein bewußt, bevorzugen wir zur Lösung
Rationalität und Logik. Wir können uns desselben Problems –
und das tun wir regelmäßig –auch im Traum bewußt werden,
der es dann in bedeutungsvolle Bilder kleidet. Zwischen beiden Bewußtseinswelten
vermittelt der Künstler. Deshalb konnte Magritte beim Anblick von Giorgio
de Chiricos Bild ,,Lied der Liebe“, das wie eine Offenbarung am Anfang
von Magrittes Schaffen stand, sagen: ,,Meine Augen haben zum ersten Mal das
Denken gesehen.“ Dabei war Magritte durchaus kein Phantast. In der Darstellung
des Mysteriums ging er nie über die sichtbaren Grenzen des Alltags hinaus.
Wenn er auch seltsame Figuren schuf, so scheinen sie doch alle der Norm unseres
Wachbewußtseins und seiner Sichtweise zu unterliegen. Magritte bereichert
die Formenwelt des Wachbewußtseins. geht aber nie über sie hinaus.
Nur, um die Welt in ihrer ganzen Tiefe zu verstehen. reicht es nicht, nur
zu denken. Unseren Blick für die Intuition und die Urbilder des Seins
geschärft zu haben. darin liegt Magrittes Verdienst. Seine Aktualität
liegt darin, Creator einer zeitgenössischen Mystik zu sein. ,,So ist
die Welt“, lautet sein Credo – ,,aber sie könnte auch anders
sein.
In diesem Zusammenhang
ist es interessant, daß Menschen, die der visionären Kunst Magrittes
bisher indifferent gegenüberstanden, unter dem Einfluß psychedelischer
Rauschmittel wie LSD ,,zu einem einfühlsamen Verständnis der Gemälde“
Magrittes gelangen, ie der US-Psychotherapeut Stanislav Grof berichtet; denn
Magrittes Werke wie auch die Bilder von Hieronymus Bosch, van Gogh, Dalí,
Picasso und Max Ernst, Escher oder Giger scheinen ,,den durch LSD bewirkten
visionären Erlebnissen besonders nahezustehen“.
Der Rummel, der derzeit von den Museen der Welt um die Bilder René
Magrittes gemacht wird, ist dem Verständnis seiner Bilder eher abträglich.
Sie wollen kontemplativ und in Muße betrachtet sein. Leider verhindern
die vielen Menschen, die, wie jetzt in der Kunstsammlung NRW, die Bilder des
Belgiers sehen wollen, daß man sie in Ruhe genießen kann. Zudem
wird der Besucher bei der ersten Begegnung mit den Originalen enttäuscht
sein, die nämlich allesamt trist und dunkel sind. Wir kennen ja nur die
aufgehellten Reproduktionen, die jedoch Magrittes Ideen umso leuchtender erscheinen
lassen.
Thomas Illmaier
Die Ausstellung ist noch bis zum 2. März 1997 in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen,
Düsseldorf zu sehen; täglich außer montags 10 bis 18 Uhr,
freitags 10 bis 20 Uhr. Tel. 0211 / 83 810. Katalog (Prestel) DM 98,--, in
der Ausstellung DM 39, --.
Junge Freiheit, Nr. 3/1997, S. 14. Bild: «La reproduction interdite»
(1937) von René Magritte.