Dichterkollegen, die sind sich nicht grün. Was Heinrich
und Thomas Mann verletzte, war nicht der Rauschgenuß von Gottfried Benn
oder die surrealistischen Einlagen von Ernst Jünger, sondern deren Nähe
zum nationalsozialistischen Regime. Thomas Mann und die Buddenbrocks zogen
außer Landes, Gottfried Benn und Jünger blieben, als das Hakenkreuz
die Weltgeschichte wendete. Ein Verhalten, das ihnen die Bürger dieses
Landes, die sich hinter den Buddenbrocks versteckten, nie verziehen. Forscht
man genauer nach, tun sich indessen neue Perspektiven auf.
Gottfried Benn nannte
Ernst Jünger „Weichlich, eingebildet, wichtigtuerisch... kurz:
Timmendorfer Strand“, womit er das Nobile dieses Autoren verhöhnte.
Die Kritik jener Zeit sah Gottfried Benn weit über den Gebrüdern
Jünger stehen. Die Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger
können auch als politische Antipoden des bürgerlichen Lagers um
Heinrich und Thomas Mann betrachtet werden.
Ernst und Friedrich
Georg Jünger sind kulturkritische, immens politische Schriftsteller.
Beim älteren Bruder Ernst Jünger holten sich die Häuptlinge
der großen Politik des 20. Jahrhunderts Rat und Einsicht: Gorbatschow,
Mitterand oder Kohl - niemand wird in diesem Zusammenhang an Drogen und Rausch
denken. Und doch sind die beiden Jüngers die Schriftsteller des Rausches
und einer diesbezüglich erfahrenen Sicht auf das 20. Jahrhundert, ein
Aspekt, den man vergeblich bei Heinrich oder Thomas Mann sucht. Ernst Jünger
schrieb die Prosa, Friedrich Georg die Lyrik dazu.
Ernst Jünger
war nicht nur Soldat in beiden Weltkriegen und bereits als Halbwüchsiger
Fremdenlegionär, sondern auch Abenteurer, Dichter und politischer Visionär.
Seine Begegnung mit Drogen und Rausch hat er besonders in seinen Werk „Annäherungen“,
sodann in seiner Novelle „Besuch auf Godenholm“ und seinem literarischen
Glanzstück „Heliopolis“ dichterisch, aber auch als Chronist
beschrieben. Noch als Soldat lernte er die Wirkung von Äther kennen,
damals in den Jahren des Ersten Weltkrieges eine Art Modedroge, der heutigen
„Partydroge“ Lachgas vergleichbar. Auch Chloroform gehörte
in der damaligen Zeit in die Kategorie „Notlöser“ bei unbewältigbaren
Problemen. Ernst Jünger beschreibt in den „Annäherungen“
einen unglücklichen Lehrling, der sich mit einer Überdosis Chloroform
in der Ecke des Büros betäubte, nicht mehr aufwachte und starb.
Solche Bilder prägen sich ein, schrecken ab. Ernst Jünger versuchte
es auch mit Kokain, das er als Soldat schätzte, aber dem echten Kokabissen,
wie ihn die Inkas und ihre Götter in den Backentaschen ihrer Mäuler
kauten, gab er den Vorrang. Überhaupt war er gegen die Ausfällung
der aktiven Prinzipien aus den Pflanzendrogen, die ihm zu starker Tobak waren.
Durch den Genuß von Opiumtinktur lernte er die Relativität des
Zeitempfindens kennen. Etwa zur gleichen Zeit, es muß Anfang der 20er
Jahre gewesen sein, begegnet er zum ersten Mal dem Haschisch. Er war, fast
dreißigjährig, auf der Reise mit seiner Mutter, die ihn damals
öfters begleitete oder er sie, z.B. auf jener denkwürdigen Reise
von Sachsen nach Hannover, wo sie Geschäftliches zu erledigen hatte.
In Halle machten die beiden Station. Im Hotelzimmer packte er seine Sachen
aus. Im Koffer fand sich auch ein ausrangiertes Porzellangefäß
mit „Extr. Cannabis“, das er seinem Vater, der Apotheker war,
vom Dachboden entwendet hatte. Auf dem Boden des Gefäßes fand sich
noch ein Rest der Paste von tiefem Grün. Er kratzte den Extrakt heraus
und aß ihn. Was dann folgte, wurde zum Alptraum. Jünger wurde psychotisch.
Seine Mutter schlug Alarm. Der herbeigerufene Arzt wurde auf eine mögliche
Fischvergiftung hingewiesen, um die Sache zu vertuschen. Er verordnete irgendein
Pulver, dazu starken Kaffee, so kam der Kranke wieder ins Lot. Mokka gilt,
was schon Lewin, der wissenschaftliche Pionier des Meskalins, wußte,
als Unterbrecher und Zerstreuer des Haschischrausches.
Schaut man sich in
der deutschen Medienlandschaft um, so wird man erstaunen, die Apologeten des
Rausches, Benn, Jünger und Gelpke, alle unter einem Verlegerdach zu finden,
unter dem man sie zunächst gar nicht vermutet, nämlich unter dem
gemeinsamen Dach des Schulbuchverlages Klett-Cotta. Und das nicht von ungefähr.
Ernst Jünger hat in den „Annäherungen“ ein solches Rauschabenteuer
mit dem Verleger Ernst Klett, dessen Frau und anderen ihnen nahestehenden
Personen des Medienestablishments geschildert: Die Hausfrau, Madame Klett,
ging, als die Gäste von ihrem Meskalin-Trip langsam herunterkamen, in
die Küche, kam jedoch „erschrocken wieder und berichtet, daß
sich die Spiegeleier in der Pfanne belebt haben. Sie haben plötzlich
gelbe Kegel aufgetürmt.“ Sehr zur Belustigung der Gesellschaft!
Mit LSD hielt es Jünger ebenso: Furchtlos, direkt... Dem Einstieg gingen
lange Briefe zwischen ihm und dem Erzeuger von LSD, Albert Hofmann, voraus.
Endlich war es soweit: Anfang Februar 1951, „lange bevor die Droge in
Ruf und Verruf gekommen war“, schreibt Ernst Jünger im Rückblick
auf die Seance, die im übrigen schwach gewesen war, da viel zu niedrig
dosiert. Aber Hofmann, der Jünger zu diesem Abenteuer mit seinem Elixier
eingeladen hatte, war vorsichtig gewesen und hatte auch nicht versäumt,
einen befreundeten Arzt mitreisen zu lassen. „Es ist doch nur eine Hauskatze,
verglichen mit dem Königstiger Meskalin, im besten Fall ein Leopard“,
schreibt Ernst Jünger über „Hofmanns Elixier“, revidiert
jedoch später seine Meinung über dieses außergewöhnliche
Pharmakon, das ihm allen Respekt abzollen sollte. Seinen schönsten LSD-Trip
beschreibt er mit den Wort „Adlerflug“ und läßt sich
auch über das Setting dabei aus: „Der Rausch im Sinne der Annäherung
sollte auf Orte und Zeiten beschränkt werden, auf Reservate außerhalb
der technischen Welt.“ Mechanische Geräusche, wie sie technische
Geräte erzeugen, erkannte er als störend und den Rausch zerstörend
- gelungen für die Reise fand er einen schlichten Raum, ohne Fernblick,
ein einfacher Wasserspeier in der Nähe würde genügen. Aus einem
sehr alten Traktat über das Opium entnahm er auch den Rat, nicht allein
zu reisen und nicht mit Feinden oder Gegnern; denn ein vertrauter Freundeskreis
ist die beste Gewähr für das Gelingen des Adlerflugs, das heißt
für das High der psychedelischen Reise. Nachdem Hofmann und andere aus
Südamerika die mexikanischen Pilze mitgebracht hatten, wurden auch diese
versucht. Der Versuch mißlang: Die Visionen waren schreckenerregend,
wenngleich synchronistisch geschaltet. Rudolf Gelpke, der mitreisende Orientalist,
war unter dem Einfluß des Pilzwirkstoffs Psilocybin „in Samarkand
gewesen, wo Timur im Nephritsarg ruht“, erinnert sich Ernst Jünger
an das Pilzsymposion. „Er war dem Siegeszug gefolgt durch Städte,
deren Morgengabe beim Einzug ein mit Augen gefüllter Kessel war. Dort
hatte er lange vor einer der Schädelpyramiden gestanden, die dem Völkerschrecken
errichtet wurden, und hatte in der Masse abgeschlagener Köpfe auch den
eigenen erkannt.“ Konzett, dem ebenfalls mitreisenden Pharmakologen,
war bei dieser Erzählung ein Licht aufgegangen: „Jetzt weiß
ich auch, warum sie ohne Kopf im Sessel saßen - es wunderte mich; ich
kann mich nicht getäuscht haben.“ Die Erfahrung mit dem Erdpilz
schildert Jünger als „mißglückt“; aber wer reist
denn auch in einem Raum, „in dem die Gestapo die Akten verwahrte, die
sie nach dem Attentat (auf Hitler 1944) beschlagnahmte.“ Sogar die Siegel
der Geheimen Staatspolizei hafteten noch an der Tür. Jünger hatte
nämlich nach dem Zweiten Weltkrieg im Schloß der Stauffenbergs
logiert, später in der dazu gehörenden Oberförsterei sein Domizil
errichtet. Jünger gehörte zum Widerstandskreis um den Generalfeldmarschall
Rommel, dem sich auch der Hitler-Attentäter Graf von Stauffenberg anschloß.
Jünger wurde in diesem Haus über hundert Jahre alt, der Pilz brachte
altes Karma hoch. Der Raum im Parterre war ihm günstig für die Reise
erschienen, weil er den Gästen einen Kachelofen bot, der auch bullig
geheizt wurde, speziell für die mexikanische Ausfahrt.
Zurück zum Haschisch.
Während Ernst Jünger den klassischen Psychedelika eine Bresche schlug,
indem er den „großen Drogen“, wie er sie nannte, bescheinigte,
sie „führen nicht zur Sucht“, gräbt er dem Haschisch
und seiner mentalen Wirkung kräftig das Wasser ab. „Die Paste hatte,
wie gesagt, ein tiefes Grün“, erinnert sich der Meister noch einmal
an den „Extr. Cannabis“ aus der Apotheke seines Vaters. Verzehrt
hatte er den Extrakt, dessen Grün er „ähnlich dem von Tannenzweigen
im verschneiten Wald“ fand, ja in dem Hotel in Halle, Anfang der Zwanziger
Jahre, als er mit der Mutter auf Reisen war. Der überdosierte Genuß
hatte ihn in eine angsterfüllte Ichauflösung geführt; er war
in mechanische Todeswelten geraten wie in den Visionen von Edgar Allen Poe.
„Aber die Angst wuchs; ich hielt es im Zimmer nicht mehr aus“,
berichtet er in „Annäherungen“. Schließlich alarmiert
er das ganze Hotel. „Unten in der Rezeption war noch Gedränge;
ich lief barfuß im offenen Pyjama durch die Gruppen, stieß Leute
an und warf Koffer um.“ Das könne er hier doch nicht machen, rief
der junge Portier hinter ihm her. Das Chaos war komplett, das Ende, dank der
beherzten Mutter, kennen wir. Diese traumatische Erfahrung hat Jüngers
Urteil über den Haschisch seitdem bestimmt. Er war sogar der Meinung,
Haschisch mache süchtig und müsse unter polizeiliche Kontrolle gestellt
werden, wenn der Konsum, z.B. von Kindern, mißbraucht würde. Ernst
Jüngers Bruder Friedrich Georg ging sorgsamer damit um und hatte ein
Ohr für die Jugend, das er feiner spitzte als sein großer Bruder.
Er schreibt in seinem Werk „Der Arzt und seine Zeit“, ein schmales
Bändchen von zwanzig Seiten: „Mich hat die Aussage eines jungen
Hanfrauchers beschäftigt. Er sagte, daß man den Spießern
morgens Haschisch ins Kantinenfrühstück geben solle. Dann würde
alles ganz anders aussehen. Der Staat verbiete den Haschisch, weil sonst viele
Menschen davon Gebrauch machen würden. Er verbiete ihn , weil sonst die
menschlichen Automaten fehlen würden, die in den Fabriken aus Blech Autos
machen.“ Friedrich Georg hielt es für ziemlich wahrscheinlich,
„daß junge Menschen, denen man die Träume nimmt, zu Wölfen
werden.“ Das sollte keine Drohung, eher eine Prophezeihung sein. Ernst
Jünger gleicht dem alten Chinesen, der auf der Jagd das gehetzte Tier
von von drei Seiten umzingelte, die vierte ließ er frei; so ist auch
der „alte Pulverkopf“ Ernst Jünger. Er bringt die „großen
Drogen“, die den Traum eidetisch zünden, wieder auf den Plan, macht
sie in kleinen, aber bedeutenden Kreisen gesellschaftsfähig, entlastet
sie vom Vorurteil. Aber er ist bereit, wenn die politische Jagd beginnt, den
Haschisch zu opfern. Rot-Grün, das ist bekannt; Schwarz-Grün bleibt
Utopie, solange Herr Jünger noch am Betelbissen kaut. Doch wollen wir
ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen: „Das ist immer meine zentrale
Frage gewesen“, schreibt er in seinem berühmten Buch, „die
nach der Existenz einer von den kolumbianischen Fahrten und Abenteuern der
Individuen unabhängigen Neuen Welt. Die Bestätigung, die Kolumbus
erfuhr, auf höherer Ebene.“ Mexiko hatte für Ernst Jünger
nicht nur geographische sondern auch geistige Existenz.
Thomas Illmaier
Original mit vier Fotos
Zschr. Hanf, 1/1998, S. 34-35.