Wuppertal. Die Diskussion um Aids ist nicht verstummt, auch
wenn sie in den Medien kaum noch präsent ist. Kriegsschauplätze
auf der ganzen Welt, die unsere Aufmerksamkeit gefangen nehmen, sollten nicht
davon ablenken, daß Aids nach wie vor in jedem Land, in jeder Stadt,
in jeder Familie ein Gefahrenherd ersten Ranges ist.
In Westeuropa sind 500.000 Aids-Fälle registriert. Die Dunkelziffer nicht
bekanntgewordener Aids-Fälle ist unberechenbar. Amerika hat die höchsten
Aids-Infizierungsraten auf der ganzen Welt. Afrika zählt seine Aids-Kranken,
ja Aids-Toten nach Millionen. Asien sieht einer galoppierenden Aids-Welle
entgegen.
Die USA haben sogar
Einreisebeschränkungen gegen Aids-infizierte Menschen erlassen.
In Wuppertal gibt es etwa vierzig bekannte Aids-Fälle. Infizierte Menschen
haben Angst, aus der Anonymität herauszutreten, weil sie berechtigt die
Diskriminierung der menschlischen Gesellschaft fürchten. Der Jugendreferent
der evangelischen Kirche in Wuppertal, Hartmut Kumpf, sieht in der Aids-Gefahr,
überspitzt, nicht so sehr eine Bedrohung der Gesellschaft; vielmehr seien
die Aids-Kranken von der Gesellschaft bedroht. Mitleidlos würden Aids-Kranke
ins gesellschaftliche Abseits, ja in die Asozialität gedrängt. Würden
Kirche und Staat nicht ein Minimum an Hilfe und Schutz anbieten, wäre
hier Schlimmes zu befürchten. Daß das Aids-Problem, etwa in der
Asylantenfrage, politisch hochgespielt und so zum sozialen Sprengsatz werde,
bleibe indessen zu befürchten.
Es gibt bis heute
keine Rettung für Aids-Kranke. Man kann den Tod durch Aids nur hinausschieben,
aber nicht verhindern.
So wie der Tod in
unserer Gesellschaft verdrängt wird, so werden auch Aids-Kranke verdrängt:
Sie werden allein gelassen, was einer Bestrafung gleichkommt, die den willensmäßigen
Widerstand gegen die Krankheit bricht.
Die Kirchen haben
begonnen, sich dem Aids-Problem zu stellen und den Kontakt mit den Aids-Kranken
zu suchen. In Zusammenarbeit mit der Aids-Hilfe Wuppertal wird jedes Jahr
ein evangelischer Aids-Gottesdienst in der Alten Reformierten Kirche in der
Calvinstraße abgehalten. Durch Rollenspiele werden Kirchgänger
aus das Aids-Problem in Form simulierender kleiner Theaterstücke aufmerksam
gemacht. Weiterführendes Problembewußtsein wird durch Vorträge
und Arbeitskreise vor Ort, in den Gemeinden, geweckt.
Die Kirchen allein
können die Aids-Problematik nicht bewältigen. Die Aids-Hilfe Wuppertal
ist vor allem gefordert, wenn es darum geht, Wohnraum, ärztliche Betreuung
und – das Allerwichtigste – menschlichen Beistand zu organisieren.
Für Michael Jähme, Leiter der Aids-Hilfe Wuppertal, ist es unverzichtbar,
daß für Aids-Kranke eine sogenannte Hospitz-Initiative tätig
wird, etwa nach dem Vorbild des Erkrather Hospitzes. Es geht darum, einen
Ort zum Leben und Sterben für Aids-Kranke zu schaffen, wo nicht hauptsächlich
therapeutisch gearbeitet wird und auch die ,,Apparate-Medizin“ in den
Hintergrund tritt. Geschaffen werden soll ein Ort, der den Aids-Patienten
ermöglicht, den Rest ihres ablaufenden Lebens zur Schaffung höherer
Lebensqualität zu nutzen. Dazu brauchen die Kranken unsere Hilfe.
Aus Erfahrung wissen die in der Aids-Hilfe engagierten Menschen, daß
Gesunde von den an Aids erkrankten Menschen sehr viel lernen können.
Angesichts des Todes werden Menschen offener für die Sinnfragen des Lebens.
Für die Kirche, wie für jeden Christen, ist hier die Heilsbotschaft
Jesu Christus gefragt. Sie zu einem Geschenk für die Aids-Patienten werden
zu lassen, scheitert aber oft an der Barriere, mit der sich viele Kranke umgeben.
Hier wäre christliches Engagement gefordert, neue Formen der Verbreitung
des Evangeliums zu finden.
Das Not-Telefon 19411
ist für jeden da, der Hilfe braucht. Aids heißt für die Helfer:
A = Angst nicht verdrängen; 1 = Isolation aufbrechen; D = Dialog suchen;
5 = Solidarität spüren. Die Aids-Beratung befindet sich in der Hofaue
9, Wuppertal-Elberfeld. Kirchliche Hilfe wird auch angeboten durch das evangelische
Jugendreferat in Elberfeld und durch die einzelnen Pfarrgemeinden.
Thomas Illmaier
DER WEG, 39/1992.