AN DEN GRÄBERN UNSERER AHNEN
Was galt unseren Vorfahren als heilig? Zunächst die
Natur. Landschaftlich imponierende Plätze wird es in Europa, das von
dichten Eichenwäldern bewaldet war, die Fülle gegeben haben. Die
Eiche, bis 1000 Jahre alt, galt den Germanen als heiligster Baum, die Kelten
pflanzten sie in ihre „Viereckschanzen“, die Priesterinnen und
Priester hörten im Rauschen des Eichenlaubs das Raunen der Götter:
Vom Raunen schreiben sich die Runen her, ursprünglich magische Göttersprüche
verkündend, der Schriftmagie des I-Ging (China), heute noch vielfach
verwendet, vergleichbar. Für Naturschönheit ist jeder Mensch empfänglich.
Eine Lichtung, ein freier Platz, ein hochaufragender Felsen, skuriler Baumwuchs,
heilige Quellen waren bevorzugter Aufenthalt der Götter und galten unseren
Vorfahren als heilig. Sie brachten ihre Opfer dar, die nie ganz selbstlos
waren sondern immer mit Bitte und Dank versehen, die Götter günstig
zu stimmen für Fruchtbarkeit und Flursegen.
Gisela Graichen hat in ihrem neuen Buch unter dem Titel „Das Kultplatzbuch“
eine hervorragende, wissenschaftlich gut fundierte Übersicht über
Kultplätze in Deutschland gegeben, die noch heute existieren und besichtigt
werden können.
Der Kontakt mit den
Göttern unserer Ahnen wurde von Priesterschamanen hergestellt, die ihren
Stamm zu heiligen Höhlen, vollmondbeleuchteten Plätzen führten
und hier Opfer, Gebet und Beschwörung im uralten Ritus vollzogen, wobei
sie sich auch des Rausches und der Ekstase bedienten: Trommel, Gesang und
heilige Pflanzen an mythischer Stelle vor einer Grotte und bei gespenstischer
Beleuchtung tief im Erdinnern drin. Erdinnern - das klingt wie erinnern: hier
wurden die Götter und Ahnen zum kultischen Mahl gebeten, besänftigt
und für die gefahrvollen Wechselfälle des Jahres um Beistand gebeten.
Die Pflanzen, die
Visionen schenken und den Geist bewegen, indem sie Kontakt mit den Göttern
an heiliger Stelle stiften und verstärken, waren unseren Vorfahren bekannt:
Vor allem das Bilsenkraut und der Hanf, der als elementarste Technik der Ekstase
galt. Seine Verwendung ist aus Grabbeigaben bekannt, bis hin zu den südrussischen
Reitervölkern, die wie die Skythen ihn zu Räucherzwecken in ihren
Schwitzhütten verwendeten. Das Bilsenkraut hat in fast allen indogermanischen
Sprachen den gleichen Namen: Bil bedeutet Kraft, magische Kraft, Wunderkraft,
worauf Namen wie „Bilsteinhöhle“ noch anspielen. Der Genuß
des Bilsenkrautes bewirkt Ekstase, in höheren Dosierungen visionäre
Zustände bis hin zum Dilirium. Der Fliegenpilz, Flugswamp (in den skandinavischen
Sprachen), wird als uraltes Soma bereits in den indoarischen Texten des Rigveda
(den ältesten heiligen Schriften Indiens) erwähnt. Die Wikinger
benutzten seine kraftspendende und visionenschenkende Potenz für ihre
Berserkergänge und Flugträume, die sie wirkliches Land wie Amerika
entdecken ließen. Die kulturstiftende kultische Rolle dieser Pflanzen
einschließlich der Pilze im Leben unserer Vorfahren ist gar nicht hoch
genug anzusetzen.
Welche Bedeutung
die magischen Pflanzen und Pilze, die nicht nur in Amerika, sondern auch in
Europa wachsen, für unsere Vorfahren hatten, darauf wies Anfang der 70er
Jahre bereits Hanscarl Leuner in seinem denkwürdigen Vortrag „Über
die historische Rolle magischer Pflanzen und ihrer Wirkstoffe“ hin.
Der Göttinger Mediziner lenkte die Aufmerksamkeit versammelter Archäologen
auf dem Göttinger Opferstätten-Symposium 1970 auf diesen Punkt,
der bis dahin zwar als interessant für die Maya- und Aztekenforschung
gelten konnte, für unsere eigenen Breiten fand er jedoch kaum Berücksichtigung.
Unsere Ahnen waren
keine Kostverächter. „Leichenschmaus“ - noch heute ein Idiom,
das leichtes Grinsen hervorruft: Und da habt ihr Papa aufgegessen. Nun in
der Vorzeit war das durchaus der Fall. Gerichtsmedizinische Gutachten gehen
mit archäologischen Funden Hand in Hand, wenn sie auf „sinnlose“
Kulthandlungen und „auf rauschartige, ekstatische-orgiastische Zustände
der Opfernden“ schließen. Beim Fäulnisprozeß einer
Leiche entstehen Giftstoffe wie Muskarin und Muscaridin, die beim Verspeisen
von Papas sterblicher Hülle ganz sicher Rauschzustände herbeiführen
halfen. Einer der angesehensten DDR-Archäologen, Unesco Mitglied Günter
Behm-Blancke von der Universität Weimar, hat sich mit diesem Thema näher
beschäftigt. Obwohl Religion für die Kommunisten Tabu ist (Religion
= Opium fürs Volk), unterstützten sie doch die Erforschung kultischer
Vergangenheit von Slawen und ihnen verwandter Stämme, das war den Russen,
den Oberherren von Ulbricht, Mielke und dem in Finnland gerne Elche jagenden
Honecker genehm. Behm-Blancke erforschte die Kultstätten der Germanen,
indem er bei jedem Forschungsprojekt ein slawisches Zweitprojekt unterhielt.
Wird die Gottheit
durch Tieropfer nicht versöhnt, wenn günstiges Wetter und Fruchtbarkeit
ausbleiben, werden auch Menschen geopfert: Meist Frauen und Kinder. Dreiunddreißig
rituell geschlachtete Menschen fanden Archäologen in der Großen
Ofnethöhle bei Holheim (Bayern). Der Fund ist etwa 10000 Jahre alt. Die
Totenschädel, darunter zwanzig Kinderschädel, waren im Kreis angeordnet
und blickten nach Westen, zur untergehenden Sonne. Alle Schädel wiesen
Schlagverletzungen auf, was auf die rituelle Tötung hinweist. Den Geopferten
gab man im allgemeinen kostbare Grabbeigaben mit: Spinnwirteln, Armreifen,
Bernsteinperlen und vieles andere mehr. Bevor man sie begrub, wurden jedoch
die leckersten Teile der Erschlagenen rituell von den Opfernden verzehrt,
die Reste anschließend begraben oder in die tiefen Schächte der
Opferhöhlen geworfen. Für die Opfertiere galt: Sie mußten
schnell getötet werden, sie sollten nicht leiden; es durften nicht zu
viele Tiere getötet werden; die Tiere waren ehrfürchtig zu behandeln.
Bei Menschenopfern waren zudem die Opfernden wie die Opfer selbst bis zum
Rand voll berauscht. Nebst Hanf, Bilsenkraut und Fliegenpilz fand sich in
manchen Grab- und Kultplätzen auch Schlafmohn wie in den Opferschächten
von Lossow (Nähe Frankfurt/Oder), wo Menschen vor ca. 2700 Jahren rituell
zerstückelt und zusammen mit Schmuck und Keramik anschließend in
die Schächte versenkt wurden. Hohe Dosierungen von Hanf führen in
tiefe visionäre und akustische Trance; Bilsenkraut wirkt in sehr hohen
Dosierungen tödlich (durch Atemlähmung); Schlafmohn (Opium) nimmt
in hohen Dosierungen jeglichen Schmerz, und das übrige sagt sein Name.
Karl der Große,
der Sachsenbekehrer und grausame Frankenherrscher, der weder lesen noch schreiben
konnte, aber ganz Mitteleuropa dem Christentum unterwarf, verbot noch 782
n. Chr. in seiner „Capitulatio de partibus Saxoniae“ den sächsischen
Stämmen das „nach heidnischen Vorstellungen verzehrte Hexenfleisch“
bei Todesstrafe und Gottesgericht (die sächsischen Führer ließ
er zu tausenden hinrichten). Die Sachsen unterlagen nach erbittertem Widerstand.
Ihre Kulte gingen unter oder wurden von christlichen Misionaren christlich
verbrämt und umfunktioniert. An manch heiliger Stätte unserer Ahnen
steht heute eine Wallfahrtskapelle, die mit Vorliebe Peter- oder Michaelskapelle
heißt (sie standen für Mission und Unterwerfung.).
Die Friesen wehrten
sich ähnlich unerbittlich, zäh und kompromißlos. Sie erschlugen
die christlichen Missionare wie Bonifacius, der die berühmte Donareiche
bei Hofgeismar (Nähe Kassel) fällte, und entzogen sich der Taufe
durch christliche Missionare, wo sie nur konnten. Von ihrem König Radbot
(679-719) wird berichtet, daß er seine eigene Einstellung zum neuen
Glauben der Christen hatte: „Als er bereits seine Füße in
das Taufwasser gesetzt hatte und der Bischof ihm die Freuden des Himmels ausmalte,
fragte er, wo seine verstorbenen Vorfahren seien. Als ungetaufte Heiden, so
antwortete der Bischof, wären sie nicht im Himmel. Worauf Radbod seine
Füße aus dem Taufwasser zog und entgegnete, dann wolle er auch
nicht in den Himmel, er wolle lieber mit tapferen Helden, wie seine Vorfahren
es gewesen seien, nach Walhall kommen, als mit Leuten, wie die christlichen
Missionare es seien, in den Himmel.“ Wahrscheinlich ist diese Erinnerung
das Vorbild für alle späteren Friesenwitze geworden.
Daß die christlichen
Priester auch heute noch Frauenkleider (Röcke, Meßgewänder
etc.) tragen, ist indessen nicht zum Lachen. Denn ursprünglich wurden
nur androgyne Zwitterwesen als göttlich verehrt. Die ältesten Darstellungen
von personifizierten Gottheiten zeigen stilisierte Vulva und Penis. Die Priester
der Kelten und anderer Stämme der indogermanischen Vorfahren trugen ebenfalls
Frauenkleider, eben weil das höchste Wesen (der Fruchtbarkeit) Mann-weiblich
war. Diese in älteste Vorzeit reichende Tradition hat sich im Christentum
tatsächlich noch erhalten.
Viele alte Kultplätze
kann man in Deutschland heute noch besichtigen. Zwar haben die Nazis die Kultstätten,
die sie verehrten, kräftig in Verruf gebracht, womit die heutige Vor-
und Frühgeschichte noch immer zu kämpfen hat. Heinrich Himmler,
Reichführer SS, war der Präsident der Stiftung Deutsches Ahnenerbe.
Er vergab die Forschungsgelder für die wissenschaftliche Spurensuche
des Lebens unserer Ahnen. Den Nazis war nun jeder Findling heilig. Heute sieht
die Wissenschaft vieles nüchterner, aber eben auch aus Angst, in die
braune Ecke gedrängt zu werden.
Kultplätze können
wirken „wie Drogen“, so das Urteil der Kultplatzspezialistin Gisela
Graichen: „Heilige Plätze verstärken Fähigkeiten, entwickeln
die eigenen Sensibilitäten; aber jeder Platz wirkt anders, äußert
seine Kraft unterschiedlich.“ Man spürt hier die Verdichtung von
Erdenergie, die unsere Vorfahren ebenfalls spürten, weshalb ihnen diese
Plätze ja heilig waren. Auch heute kommen wieder Menschen zu den alten
Kult- und Opferplätzen zu den Sonnenwendfeiern, den Voll- und Neumonden.
Sie kommen nicht aus touristischer Neugier, sondern weil sie sich den rechten
Sinn und das Empfinden für die alten Plätze, die unseren Vorfahren
in Wald und Flur heilig waren, bewahrt haben.
Thomas Illmaier
Bild: Goldene Kultschalen. Bronzezeit
In: Zschr. Hanf, 4/1998, S. 20-21.