Alan HovhanessThomas Illmaier
Den Tempel im Ohr
Spirituelle Musik Eurasiens

1. Teil
,,Nada Brahma“ – Die Welt ist Klang. Die Welt wird hörbar in der großangelegten Soirée von Joachim-Ernst Berendt, der nach dem großen Erfolg der ,,Nada Brahma“-Serie im Rundfunk gleich eine zweite Version auflegte: ,,Vom Hören der Welt‘ – Das Ohr ist der Weg“.
Joachim-Ernst Berendts monumentale Klangwelt-Weltklang Erlebnisse sind eingebettet in elementares Wissen über Musik und ihre Struktur, Schwingungen, Muster, Energie, was sie gemeinsam hat und mit der Welt der Fülle – Klang, der hörbar gemacht werden kann.
Berendt baut seine Hör-Lehr-Sendungen auf dem Grundklang der Welt, dem OM des indo-tibetischen Kulturkreises auf. Er läßt das Mantra vom Mönchschor des Swayambhunath-Tempels/Tibet intonieren und weiß gleich eine Geschichte dazu zu erzählen. Das mantrische OM ist die Klang-Wahrheit Aussage des Universums und Vorlage für das jüdisch-christliche Amen, das nur ,,ein stärker vokalisiertes und nasaliertes OM“ ist. Gewandt und überzeugend läßt er auf dem schwebenden OM der Mönche das Amen aus Händels Messias intonieren. Man hat hier plötzlich den Tempel der Menschheit im Ohr.
,,Die Welt ist Klang“ und ,,Vom Hören der Welt“ sind beide bei Network im Vertrieb von Zweitausendeins – Postfach 61 0637, D-6000 Frankfurt/Main 61 – erhältlich. Der Text kann in den beiden Büchern Berendts ,,Nada Brahma“ und ,,Das dritte Ohr“ (beide bei Rowohlt) nachgelesen werden. Joachim-Ernst Berendt ist auch Autor des meistverkauftesten Musikbuches der Welt, des ,,großen Jazzbuches“ (Fischer Taschenbuch).

Gigantische Melodie der Himalaya Berge
,,Ich möchte alle Glocken der verlorenen armenischen Stadt Ani läuten“, schrieb Hovhaness über seine vierte Sinfonie. Der Komponist Alan Hovhaness ist in Europa noch wenig bekannt. Er ist armenischer Herkunft – gebürtiger US-Amerikaner und das, was man den Meister der beschwörenden Musik, die einem alles geben kann, nennt. ,,Ich bewundere die gigantische Melodie der Himalaya Berge“, schreibt er, und so ist seine Musik: beschwörend, transzendental, heilig wie die Berge des Himalaya. ,,Shalimar“ (FortunalKuckuck), die Piano Solos Alan Hovhaness’ bringen noch einmal die ganze Welt des Himalaya zum Klingen und seine ganze Liebe für die armenische, religiöse Musik des siebten Jahrhunderts, die klassische Musik Südindiens, Orchestermusik der Tang Dynastie Chinas des siebten Jahrhunderts A. D. und Händels Opern-Oratorien.
Bardo, das große Wort des tibetischen Buddhismus, ist der Titel einer gleichnamigen Komposition von Peter Michael Hamel. Der Weg durch den Bardo wird begleitet und ermöglicht durch das kompositorische Genie Hamels auf der Orgel und dem Synthesizer, begleitet von Ulrich Kraus. Was an dieser Komposition besticht, ist die Peripetie, des Übergangs von den friedlichen zu den zornigen Gottheiten des Bardo, das den Hörer unmittelbar erschreckt. Letzten Endes wird auch diese Phase des Bardo überwunden. ,,Wohl dem, der sich schon zu Lebzeiten mit seinen dunklen Urkräften auseinandergesetzt und versöhnt hat“ (Peter Grieder).
Peter Michael Hamel ist auch Autor des schätzenswerten und mittlerweile ein Klassiker gewordenen Buches ,,Durch Musik zum Selbst“ (Fischer Taschenbuch/Bärenreiter).
Die leichte und gefällige, doch nicht undramatische Muse pflegen und verehren sie: Oliver Shanti & Friends. Die wunderbaren Klänge spiritueller Pracht, Hingabe und unendlicher kosmischer Freude Oliver Shanti & Friends‘, das ist auf ihrer ,,Rainbow Way“ Einspielung (Sattva Kunst Verlag) zu hören. ,,Sangha Way of Life“, ,,Svayambhu“ sprechen (spielen!) für sich; nicht zuletzt der Titel ,,Liberty of Kabul“ hat aktuelle Bedeutung.

2. Teil

Das Unendliche. Gleichnamiger Titel eines Gedichtes von Giacomo Leopardi, vertont von Reinhard Febel (Wergo). Man muß das Gedicht kennen, Um einen Zugang zur Musik Febels zu bekommen. Der Dichter sieht nur noch wenige Hecken und Hügel, bevor ihn der Blick des Unendlichen trifft. Der Blick der tiefsten Ruhe. Hier verlernt der Mensch das Fürchten ganz; der Tod verliert gänzlich seinen Stachel. Febel, geboren 1952, hat das Gedicht vertont und seinem eigenen Geiste unterworfen, die Musik – im Sinne von Leopardis Gedicht –: Im Geist Räume ohne Grenzen jenseitstief. Da es sich um moderne Musik, genauer um postmoderne Musik handelt (wobei postmodern auch im Sinne von manieristisch – ohne Werturteil – verstanden wird), ist dem Hörwillen einiges abverlangt. Man muß das Stück auch mehrmals hören. In einer Zeit, in der der Sinn für Metaphysik und aller Transzendenz verlorengeht oder sich auflöst, ist Musik wiederum die Vorschule, Jenseitiges bewußter zu machen und im Geist zu vertiefen.

Energien durch Gongs und Gongtrommeln geweckt
Energy – The Four Directions. Michael Jülich weckt die Energien durch Gongs und Gongtrommeln. Ein ungeheurer Effekt. Aufgenommen wurde ,,Energy“ (Wergo) im Dom zu Speyer.
Sacred-Ceremonies – Ritual Musik des tibetischen Buddhismus, dargeboten von Mönchen des Dip Tse Chok Klosters in Dharamsala/lndien, dem Sitz des Dalai Lama im Exil. Diese Aufnahmen (Fortuna/Kuckuck) sind von hoher technischer Qualität und gehören zum Stärksten, was auf diesem Gebiet zu hören ist. Der weltbekannte Therapeut Stanislav Grof, der sich um die Erforschung der geistigen Welten des Menschen verdient gemacht hat, gibt der tibetischen Ritual-Musik, insbesondere ihren mehrstimmigen tantrisch-buddhistischen Gesängen, den höchsten therapeutischen Rang. Diese mehrstimmigen Gesänge sind hier mit eindringlicher Kraft vorgetragen und auch für Nichtbuddhisten ein spirituelles Erlebnis.
Missa Gaia/Earth Mass (Living Music/Zweitausendeins), eine der vielen Kompositionen Paul Winters, sticht durch ihre Leichtigkeit im Klang und Fluß des musikalischen Geschehens hervor. Das verwendete Material reicht von Stimmen der größten Meeressäuger, den Walen (in ihrem Element), bis hin zu aller Art Percussion; dem Chor der Kathedrale St. John the Devine, wo die Messe auch aufgenommen wurde, bis zu Außenaufnahmen im Grand Canyon. Die Missa Gaia rankt sich um die traditionelle Form der Messe: ,,Kyrie“, ,,Sanctus und Benedictus“‘ ,,Agnus Dei“. Es handelt sich um einen ganz wunderbaren Klang des Friedens, der Mahnung (Mutter Erde!) und der Harmonie mit allem, was da lebt.

3. Teil

Popul Vuh – den meisten, wenn sie sich erinnern, ist die Musik aus den Werner Herzog Filmen bekannt. Popul Vuh haben sie komponiert, Musik für die Filme ,,Fitzcaraldo“ (mit Klaus Kinski), ,,Nosferatu“ und andere. Wenigen sind die ,,Tantrik Songs“ (Celestial Harmony/Kuckuck) der Gruppe um Florian Fricke bekannt. Es sind Songs, die sich an den Obertongesängen der tantrischen Traditionen Tibets orientieren, Instrumentales aus der Geschichte der psychedelischen Musik, dazu Klassisches auf der Oboe, der Sitar und Tambura. Der Sound ist eine Beschwörung längst vergessener spiritueller Abenteuer in einer menschenleeren, weil transpersonalen, Welt. Solche Musik ist zur Meditation geeignet, die, nach Lama Govinda, am besten in der Dämmerung praktiziert wird, zur Zeit der ,,Blauen Stunde“ – hierher gehört die Musik von Popul Vuh.

Zen-Musik – hörbar gemachtes Hören
Zen-Musik von Michael Vetter. ,,Zen-Musik“ ist die Musik, die ins Hören hineinruft, / ist die Musik des Hörens, / ist hörbar gemachtes Hören, 1 sind Töne, die sich selbst belauschen... Der Meister hat sie belauscht. Das Ergebnis der sechsteilige Zen-Zyklus von Michael Vetter auf der Tambura, dem Gong, der Flöte, der Koto, den Glocken, dem Klavier (alle Wergo). Diese feinstoffliche, mitunter beschwörende Meditationsmusik des Oberton-Barden (als den man ihn neuerdings kennt) ist zugleich Kommunikation. ,,Meditation heißt, sich auf die Stille zubewegen, Kommunikation heißt Bewegung erhören.“
Ya Dong gilt als die Königin der Pipa, der chinesischen Laute. Dieses Musikinstrument ist außerordentlich kostbar in Gehabe und Klang. Sie ist vor allem ein Fraueninstrument. Wer die Schönheit liebte, spielte Pipa. Inspiriert wurden die Frauen in ihrem Spiel vor allem durch die Legenden aus der religiösen Geschichte Chinas; denn ,,fliegende Göttinnen“, wie sie an den Wänden der Tun-huang herausschauten, waren gerade das rechte Maß für die fliegenden Töne der Pipa. Einen wunderbaren Ausschnitt ihrer Kunst bietet Ya Dong auf dem Network Label: Streng, rührend und alles zugleich; eine Musik des Himmels.
,,Im Garten der Liebe“, ,,Musik für Lovers“ (beide im Bauer-Tonprogramm), Shantiprems erprobte Musik für sinnliche Zeiten. Er verbreitet Atmosphäre, in der sich Erotik und das Spiel der Liebenden entfalten kann. ,,Liebende geben sich nicht einander hin, sie geben sich dem Unbekannten hin, das zwischen ihnen geschieht.“ Diese Weisheit ist die Realisation aus der langjährigen Zusammenarbeit mit Margo Anand, der inzwischen weltberühmten Tantrikerin; für sie und ihre Arbeit schrieb Shantiprem die Musik. Margo Anand trat mit ihrem gut fundierten Buch ,,The Art of Sexual Ecstasy. The Path of Sacred Sexuality for Western Lovers“ an die Offentlichkeit (deutsch: Tantra oder die Kunst der sexuellen Ekstase. Goldmann Verlag).
Die vorliegenden Untersuchungen wurden inspiriert durch die Lektüre von Cyrill Korvin-Krasinskis Buch ,,Trina Mundi Machina – Die Signatur des alten Eurasien“ (Gründewald Verlag). Er unternimmt den fast hoffnungslosen Versuch, die gemeinsame Symbolgeschichte von Europäern und Asiaten ans Licht zu holen. Die verwandtschaftlichen Wurzeln sind frappierend...

Esoterik und Wissenschaft, Mai-Aug. 1993, S. 37-39.

 

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