Albert HofmannDie Mysterien von Eleusis

Zweitausend Jahre lang waren die Mysterien von Eleusis die größten ihrer Art, die die Welt der Antike, wie sie uns Griechen und Römer überliefert haben, zusammenhielten. Die Einweihung in die Mysterien von Eleusis galt als der krönende Abschluß eines Lebens, das den Göttern geweiht war; die Einweihung half, die Verbindung zwischen den Göttern und Menschen neu zu stiften.
Eleusis birgt ein Geheimnis, nicht etwas Erlerntes, wie Aristoteles sagt, sondern eine Erfahrung, ein uranfängliches Wissen über den Sinn von Leben und Tod. ,,Nicht nur haben wir dort den Grund erhalten, daß wir in Freude leben, sondern auch dazu, daß wir mit besserer Hoffnung sterben‘, sagt Cicero, der große Redner und Politiker, der eingeweiht war in die Eleusinischen Mysterien. Sophokles und Pindar überliefern ähnliches, aber keiner von ihnen beschreibt, was tatsächlich in Eleusis geschah. Es war bei Todesstrafe verboten, darüber zu reden. Ein Vergehen wurde unnachsichtig verfolgt – bis heute gibt es kein Zeugnis über die wirkliche Erfahrung, was im Telesterion, der Einweihungshalle des Tempels von Eleusis, geschah.
Erst in neuerer Zeit wurde das Geheimnis, nicht von Gräzisten sondern von einer Seite, von der man es vielleicht kaum erwartet hatte, entdeckt. In ihrem Buch ,,Der Weg nach Eleusis“ (Insel) beschreiben R. Gordon Wasson, Carl A. P. Ruck und Albert Hofmann ihren Zugang zu den Mysterien, die durch moderne pharmakologische Forschungen, insbesondere von Albert Hofmann, verständlicher werden. Danach wurde dem Trank, der den Mystes, den Eingeweihten, im Kykeon, dem heiligen Pokal, dargereicht wurde, ein Psychedelikum beigemischt. Dieses Psychedelikum ist wahrscheinlich das psychoaktive Mutterkorn gewesen, das Getreide und Gras befällt und wasserlöslich das lngredienz des Rauschtranks der heiligen Mysterien gewesen ist. Mutterkorn (claviceps purpurea) befällt Gerste und Weizen, auch das sogenannte Rauschgras, lat. lolium, das im Mittelmeerraum überall wächst. Gerste und Weizen wurden auf der rarischen Ebene, die an das Heiligtum von Eleusis grenzt, von den Priestern angebaut; denn diese Getreide galten als heilig. Das Heiligtum von Eleusis war der Göttin Demeter geweiht. Mutterkorn ist ein auf Getreiden wuchernder Pilz. Seine psychoaktiven Wirkstoffe führten 1943 zur Entdeckung des LSD und weiterer verwandter Wirkstoffe, die pharmakologisch zu den Psychedelika gehören. Dem Wortsinn nach ,,bringen sie die Seele zur Erscheinung“. Aus den überlieferten Quellen und den modernen Forschungen schließt Ruck auf den Ritus von Eleusis, auf den sich der Myste ein Jahr lang vorbereiten mußte, und zwar mit festem Wohnsitz in Athen. Der Ritus vollzog sich folgendermaßen: Nach der einjährigen Vorbereitung zogen die Mysten auf der heiligen Straße von Athen nach Eleusis. Das Heiligtum wurde über eine Brücke betreten, Symbol des letzten Schrittes vom Diesseits zum Jenseits. Im innern des Heiligtums, dem Telesterion, bildete das Mischen des Tranks einen Teil der Zeremonie. Geweihte Frauen tanzten mit heiligen Gefäßen, die sie auf dem Haupt trugen und die weitere Ingredienzen des Einweihungstrankes enthielten. Der Hierophant, der Priester (aus einer der uralten Priesterfamilien), trank als erster, ,,dann folgten die Kandidaten seinem Beispiel und lauschten im verdunkelten Telesterion seinem Singsang in Erwartung des Augenblicks der Offenbarung – einer Vision“, die wohl auch von körperlichen Symptomen begleitet war: ,,Furcht und Zittern in den Gliedern, Schwindel, Ubelkeit und kalter Schweiß.“ Daß der Genuß von claviceps purpurea Visionen erzeugt, die unter geeigneten Bedingungen die Erfahrung des Heiligen begleiten, ist durch die Selbstversuche mit LSD belegt. Im Altertum sprach Sophokles von den Mysterien als dem ,,geheiligten Quell“. ,,Dreifach glücklich sind jene unter den Sterblichen, die, nachdem sie diese Riten gesehen, zum Hades schreiten; ihnen allein ist dort wahres Leben vergönnt.“ Wahrscheinlich wurde, während der Trank zu wirken begann, auch Musik gemacht, was die ekstatische Wirkung des Psychedelikums noch verstärkte. Auf dem Höhepunkt der Vision wurde die innere Kammer des Telesterions aufgerissen, sodaß Licht in den Raum einströmte, der, von Lichtgeistern überflutet, das göttliche Geschehen sichtbar machte. Menschen und Götter nahmen an dem gemeinsamen Agapemahl, dem Liebesmahl teil. Im gleichen Raum waren sie anwesend und kommunizierten das ewige Leben.
Wie gesagt, es durfte über die Zeremonie bei Androhung und wohl auch Vollstreckung der Todesstrafe nicht geredet werden. Gegen 415 v. Chr. kam es zu einer Profanierung der Zeremonie. Die Ingredienzen des heiligen Trankes wurden auf den Weinfesten der trankbegeisterten Griechen unter die narkotisch starken Weine gemischt. Die Obrigkeit griff ein und verhängte harte Strafen. Die Griechen kannten Weinmischungen für profane und heilige Zwecke. ,,Das Wort für Betrunkenheit bezeichnet im Griechischen“ so Ruck, ,,einen Zustand rasenden Irrsinns. Wir hören von Weinen, die so stark waren, daß sie mit zwanzig Teilen Wasser verdünnt werden konnten, und die eine mindestens achtfache Verdünnung erforderten, um gefahrlos getrunken werden zu können; es wird nämlich berichtet, daß das Trinken gewisser Weine in reiner Form zu bleibenden Hirnschäden und in einigen Fällen sogar zum Tode führte.“ Die Stärke des Weines war aber nicht infolge des Alkohols, dessen Gehalt bei 14% lag; denn die Griechen kannten die Kunst der Destillation nicht. Es waren die Ingredienzen, die dem Wein zugesetzt waren und die ihn so berauschend machten. ,,Die sakralen Zwecken vorbehaltenen Weine waren sogar noch berauschender als die für gesellige Anlässe bestimmten; nach Platon dienten sie nämlich dazu, Wahnsinn hervorzurufen.“ Denken wir an die psychoaktive Tollkirsche, den Stechapfel oder das Bilsenkraut (das auch dem Bils, daher der Name Pils, dem Bier, ursprünglich heiliges Met der Germanen, zugesetzt wurde) und das Mutterkorn, so verstehen wir, was heiliger Wahnsinn, Enthusiasmus, für den eingeweihten Griechen, im letzten Sinne war.

Literatur:
Albert Hofmann: Die Botschaft der Mysterien von Eleusis an die heutige Welt. In: A. Dittrich / A. Hofmann / H. Leuner (Hrsg.): Welten des Bewußtseins. Bd. 1. Berlin: VWB, 1993.
– LSD – Mein Sorgenkind. Die Entdeckung einer ,,Wunderdroge“. München. dtv, 1993.
– (mit Carl A. P. Ruck / R. Gordon Wasson): Der Weg nach Eleusis. Das Geheimnis der Mysterien. Frankfurt / M.: Insel, 1984.
Karl Kerenyl: Die Mysterien von Eleusis. Zürich: Rhein-Verlag, 1962.
Siegfried H. Potthoff: Synthese ursprünglicher Heilweisen und moderner Schulmedizin als Friedensbeitrag. Vortrag an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, 9. Juni 1994.

Thomas Illmaier

Esoterik und Wissenschaft, Jan.-April 1995, S. 36-38.

Bild: Weihrelief an die Eleusinischen Gottheiten. Um 430 v. Chr., Athen (Insel).

 

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