Beklemmende
Bilder, schützende Klänge
Peter Hamels ,,Die Endlösung“ in Koblenz aufgeführt
Zweieinhalb Stuhden dauern die szenischen ,,Stationen für
Orchester und Theatergruppe“, die Peter Michael Hamel in zehnjähriger
Arbeit komponiert, ,,Die Endlösung“ betitelt, und Ende August auf
der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz zur Uraufführung gebracht hat.
Die Zuschauer folgen dem Klanggeschehen durch zwölf Stationen, angefangen
bei der Deportation, endend bei der Ermordung der Juden im Gas. Als Schlußvision
wird der Atompilz als ,,wahre Endlösung“ beschworen.
Klassische Orchester- und Kammermusik dominieren – in Koblenz ausgeführt
von der Rheinischen Philharmonie Koblenz, (Leitung Alicja Mounk), Maria Husmann
(Sopran), Johannes M. Kösters (Bariton), Wolfgang von der Burg (Bariton/Sprecher);
Gesamtleitung Willi Lindemann.
Hamel will mit seinem
,,Requiem in Bildern“ (aufgeführt vom dänischen Ensemble ,,Teatret
Cantabile 2“) die Überlebenden und Toten des Auschwitz-Massakers
würdigen. Zur Komposition der ,,Endlösung“ durch den Tod seines
jüdischen Freundes, des Komponisten Morton Feldman (1987), angeregt,
ließ Hamel erkennen, daß er um die Schwierigkeiten, ein solches
Hörwerk zu komponieren, weiß. Auschwitz sei ein Tabu. Verdrängung
und Vergessen seien allgegenwärtig. Deshalb wolle er gegen das Vergessen
komponieren, damit es nie wieder ein Auschwitz geben könne.
Das Spiel des Ensembles Teatret Cantabile 2 unter der Leitung von Nullo Facchini,
dem sich Hamels Musik unterordnet, zeigt den Menschen, wie er ist: Gut und
böse – je nach den Umständen wechselt er seine Charakterzüge
aus. Die Japanerin Minako Saki zeigte das den Zuschauern sehr deutlich: Von
Wahnsinn und Aggression bis hin zur dahinschmelzenden Liebe. Zu all dem ist
der Mensch fähig.
Ein jeder mußte
in diesen Spiegel gucken, und es war durchaus beabsichtigt, daß sich
die Zuschauer peinlich berührt fühlen konnten. Da präsentierte
sich ,,der wahre Arier“ stolz und linkisch; ,,der wahre Japse“
winkte lächelnd den Massen. Beklemmende Urbilder von Feindschaft und
Gewalt wurden in der düsteren Festung wach.
Peter Michael Hamels ,,Endlösung“ soll Trauerarbeit ermöglichen.
Doch geht es dabei um mehr als um Vergangenheitsbewältigung.
Das Werk ist eine
abschreckende Zukunftsvision, die der Schlußtext dieses an mittelalterlichen
christlichen Prozessionsspielen orientierten Szenarios deutlich macht:
,,Wie ein Pilz ragt die Erscheinung in den Himmel... Mit schallenden Posaunen
verkünden sie den vier Ecken der Erde: Der Name des neuen Herrschers
sei nicht mehr Aschmodai (der hebräische Name Satans) sondern ,,Nucleus“,
die Essenz der Seelen von anderthalb Millionen lebenden, atmenden Kindern.
Ich hebe den Blick zum Himmel über Auschwitz und sehe Nucleus auf seinem
Thron, unter der majestätischen Kuppel seines Pilzes...“
Hamels Werk ist ein Versuch, die sozialhygienische Funktion der griechischen
Tragödie wiederzubeleben. Durch Mitleid zur Läuterung sollte der
Weg führen. Wer sich der Tragödie nähert, kann daran zerbrechen.
Deshalb ist die Funktion der Musik als schützende Kraft so wichtig. Hamel
versteht die Musik als Ausdruck des authentisch Humanen im Menschen. Doch,
so der Komponist, die Wirkung der Klänge sei nicht nur therapeutisch
sondern zuallererst christlich motiviert: ,,Ich wünsche mir den Hörer,
der kraft der Mittel, die ich als Musiker anwende, aus dem Korsett seiner
gewohnten Vorstellungen herausfällt, in die Ungeborgenheit des schwarzen
Loches hineinblicken muss, aber dann aufgefangen wird und vielleicht wieder
beten kann. Das ist mir wichtig. Ich bin nicht kirchlich, aber ich bin Christ.“
Thomas Illmaier
DER WEG, 40/1996, S. 15. Bilder: Szenenbild „Die Endlösung“,
Portrait des Komponisten.