Gu WendaWelt der Meditation
Chinesische Tuschmalerei im 20. Jahrhundert

Thomas Illmaier

In einer einzigartigen Schau zeigt das Museum für Ostasiatische Kunst Köln in der Zeit vom 19. Oktober 1996 bis 15. Jänner 1997 die Ausstellung ,,Chinesische Tuschmalerei im 20. Jahrhundert“. Es ist die erste umfassende Ausstellung moderner chinesischer Malerei auf dem europäischen Kontinent, nachdem das British Museum London die Überblicksschau in England gezeigt hat.
Die alte chinesische Kunst, Landschaftsmalerei und Kalligraphie – oft in Eins verbunden, ist nicht tot, aber sie wurde schwer erschüttert, vor allem durch Maos Kulturrevolution. Ein Beispiel ist das Werk ,,Abendschein auf dem Weihrauchbrenner-Tempel“ von Zhang Ding. Dieses Werk, orientiert an der konfuzianischen Idee der Unwandelbarkeit des inneren Wesens der Natur, mußte sich gegenüber den kommunistischen Parteiideologien ausweisen.
Der Künstler notiert in kalligraphischen Schriftzeichen rechts unten im Bild: ,,Abendschein auf dem Weihrauchbrenner-Tempel./Auf dem Westufer des Gelben Flusses/ragt ein Bergkamm empor./Darauf wurde der Weihrauchbrenner-Tempel erbaut /In früheren Jahren überquerte hier oft die nach Norden marschierende Rote Armee den Fluß.“ Nicht minder schwer erschüttert wurde die chinesische Tuschmalerei durch die Öffnung des Reichs der Mitte seit 1979.
Einflüsse des Westens sind so stark, daß chinesische Künstler sich heute nicht mehr auf Künstler wie Wang Wie (700-761) oder Mi Fu (1052-1107) berufen, sondern auf Paul Klee oder Käthe Kollwitz. Vieles an der modernen chinesischen Malerei scheint adaptiert und erweckt den Eindruck mangelnder Originalität. Kunstrebellen wie Gu Wenda setzen sich gegen den Einfluß der ,,Westkunst“ zur Wehr, um einen Individualstil, der die Muster der Westkunst transzendiert, ohne ihren Einfluß zu leugnen, zu kreieren.
Ein schönes Beispiel für die Mitte zwischen den Extremen traditioneller chinesischer Malerei und der explosiven Westkunst bietet Go Wenda in „Welt der Meditation“. Dieses Bild, Hängerolle, Tusche auf Papier (276x175cm), was ganz der Tradition entspricht, zeigt die Tuschebalken des überdimensionierten Schriftzeichens WU, was Nichts oder Leere bedeutet.
Auf diesem Zeichen steht eine Steleninschrift im Stil des Kalligraphen Yan Zhenqin (708-784). Die Steleninschrift steht für die Kultur der Vergangenheit, die in der Gegenwart zunichte wird.
Aber wie gesagt kann Nichts auch buddhistisch als Leere gedeutet werden. Deshalb ist es auch noch zu früh, über die weitere Entwicklung der chinesischen Kunst zu urteilen; denn Ch‘an (Jap. Zen) bedeutet Meditation – jene Leere, die für alle Zeit und immer gültig ist, was den Kreis zur Unwandelbarkeit des Wesens der Natur der alten Maler schließt.

Bild: „Welt der Meditation“ von Gu Wenda

Ursache & Wirkung, 19/1996-1997, S. 45.


Seite Drucken zur Übersicht | Startseite