Die
Malerei als Suche nach dem eigenen Ich
Raimund Girke – Retrospektive
Die kraftvollen, chaotisch farbigen Bilder der 50er Jahre,
die unter der Stilbezeichnung Informel bekannt wurden, wollten Raimund Girke,
dem Kölner Maler und Protagonisten der neuen deutschen Malerei, nie so
recht gefallen. Identifizieren konnte er sich mit dem Informel schon gar nicht.
Gegen die Reizüberflutung der technisierten Umwelt im Medienzeitalter,
wovon Informel nur ein Abbild und bestenfalls ein Vorgriff darauf war, stemmte
sich Girke mit klarem Ordnungssinn und meditativer Stille.
Nach seiner Meinung
darf ein Bild nicht bunt sein; denn sonst geht der einzelne Farbton darin
verloren. Deshalb wählte er weniger Farben, wodurch die einzelne Farbe
mehr an Wirklichkeit gewinnt. Girkes Hang zu Klarheit, Reinheit und Zurückhaltung,
sein Sinn für rhythmische Strukturen lassen ihn schließlich das
Weiß finden, in dem bekanntlich alle Farben aufgehoben sind. Weiß
ist für Girke die Farbe der Stille. So lädt er den Betrachter seiner
Bilder zur Ruhe und Meditation ein und damit zur Konzentration auf das Wesentliche.
Girke, der im letzten
Jahr 65. Geburtstag feierte, zeigt jedoch seit den 90er Jahren auch den Kontrast
zum Weiß, in Blau und Schwarz. Stille darf nicht Selbstzweck werden.
Der Kontrast gebiert auch Bewegung, die, wenn kraftvoll und rhythmisch, ganz
neue Horizonte erschließen kann. Die Sehnsucht nach dem Allerfernsten
– das ist der Horizont in Girkes Malerei. Malen heißt für
ihn philosophieren; denn Malerei ist für Raimund Girke gleichbedeutend
mit der Suche nach dem eigenen Ich.
Thomas Illmaier
Von der Heydt-Museum:
„Raimund Girke — Retrospektive“, bis 31. März. Di-
So 10-17 Uhr, Do 10-21 Uhr. Gezeigt werden 43 Gemälde aus allen Werkphasen
seit 1953. Begleitend zur Ausstellung erscheint eine umfangreiche Werkmonographie,
die im Museumsshop für 45 Mark angeboten wird.
DER WEG, 10/1996. Bild: „Kontrast“ (1992) von Raimund Girke.