Hildegard
Enderles Pastellmalerei
Die Wut auf den rechten Winkel
Hildegard Enderle hat als Malerin und Gartenarchitektin nicht
nur Geschichte erlebt, sondern auch Geschichte gemacht. Als junge Frau, nach
dem Studium in München, durch die Kriegswirren nach Wuppertal zurückgekehrt,
tritt sie ins Architekturbüro Rasch als Praktikantin ein. Das war 1943.
Hier machte sie Bekanntschaft mit Architekten und Künstlern und ihren
Gemälden. Im Hause Rasch befand sich ein Kelleratelier, das von Willi
Baumeister genutzt wurde. Mit ihm, dem großen Maler und Lehrer der modernen
Kunst – das Von der Heydt-Museum Wuppertal zeigt mehrere Werke des Malers
–, hatte Hildegard Enderle Kontakt. Sie sah z.B. das Bild ,,Kammzugfiguren“
im Atelier des Hauses Rasch entstehen und entdeckte durch die Augen Baumeisters
die moderne Kunst. Auf einem Spaziergang vertraute ihr der Künstler an,
er wünsche, daß seine ,,Männlein“ genauso leben würden
wie die Figuren in der anerkannten Kunst. Denn auf sich allein gestellt, von
den Nazis mit Mal- und Ausstellungsverbot belegt, hatte er dennoch die Hoffnung
nicht aufgegeben, daß sein Schritt über die gegenständliche
Kunst hinaus notwendig sei, um der Kunst neue Perspektiven der Entwicklung
zu eröffnen.
Hildegard Enderle
lernte im Atelier Werke von Kandinski, Klee, und Picasso kennen – in
einer Zeit, als diese Kunst als verfemt, ,,entartet“ galt. Natürlich
waren diese Schätze getarnt. Das Geheimnis wurde gehütet.
Kriegsende und Wiederaufbau
machten es zunächst unmöglich, an freie Kunst zu denken. Hinzu kam
die Aufgabe der Mutter, drei Sühne am Zügel zu halten. Kreativität
und Kunstabsichten kamen nach dem Eintritt in das Garten- und Forstamt (1964).
Frau Enderle beschäftigte sich fortan mit den Entwürfen für
die Fußgängerzonen und legte, wenn nötig, ihr Veto beim Baugenehmigungsverfahren
ein. Sie schuf nicht nur die Elberfelder City-Fußgängerzone, sondern
auch den Brunnen am Döppersberg, der vor kurzem allerdings durch die
,,Wasserkugel“ ersetzt wurde.
,,Die Wut auf den
rechten Winkel“ verhinderte nach der Pensionierung, daß sie jemals
wieder abstrakt zu zeichnen begann. Das Zeichnen von Bebauungsplänen
ist für sie ein reines Kompromißgeschäft. An der Gestaltung
öffentlicher Bauvorhaben wirken eine Menge Interessen und Ämter
mit. Sie alle unter einen Hut zu bringen, und zwar unter den ,,rechten Winkel“
der zeichnenden Architektin, war manches Mal ein zermürbendes Unterfangen.
Vom eigenen Entwurf blieb dann nur noch der Schatten, ein ,,entferntes Abbild“
der ursprünglichen Idee übrig.
Ab in die Badewanne
Ein wenig von diesem sehr gebundenen Schaffensprozeß der Architektin
wirkt nach in der, nun seit dem Ruhestand gepflegten, Malerei Hildegard Enderles.
Ihr freies Gestalten hat etwas von jenem Dreischritt, den Ernst Jünger
in seinen metaphysischen Schriften oft ins Blickfeld rückte: Urbild,
Abbild, Spiegelbild. Im Urbild ist die Idee, der ein notwendiges Abbild folgt:
Pastellfarben kombiniert, der ursprünglichen Idee nahe. Und ab mit diesem
Entwurf in die Badewanne. Die Farben verlaufen, das Papier saugt sich voll.
Nun entsteht das Spiegelbild, in dem das feuchtnasse Papier, von einem Blancobogen
bedeckt und mit der Kuchenrolle geglättet, Farbe und Formen an das Spiegelbild
abgibt. Das Resultat ist verblüffend. So entstehen Phantasielandschaften,
die einen ästhetischen Reiz ausdrücken, der kaum zu beschreiben,
allenfalls zu lokalisieren ist, beispielsweise als ,,Afrikanische Landschaft“.
Mit Hilfe dieser
Technik, die Frau Enderle als ,,Decollage“ versteht und die sie bereits
bei Max Ernst vorgebildet sieht, gelingen der Künstlerin wunderbare Schöpfungsbilder
im wahren Sinn des Wortes. Sie sind so ursprünglich, daß sie ihnen
Texte der Bibel aus der Genesis unterlegte. Es handelt sich hier um echte
Synehronizität – Malerisches und Dichterisches passen bestens zusammen.
Kinderseelen
Hildegard Enderle hat durch Kinder und Enkelkinder Erfahrung mit der erwachenden
Seele des Kindes. Für viele Kinderbilder malte, ,,decollagierte“
sie den Hintergrund. Die Kinder setzten dann ihre eigenen Figuren ein. Die
Seele des Kindes hat Frau Enderle vielfach bewegt. Ihre Bilder, wo Kinderfiguren,
wie von Kinderhand gemalt, im Zentrum stehen, sind der Seele des Kindes entlehnt
und sollen uns erinnern an die eigene Kindheit. Was Käufer besonders
interessierte, waren die musischen Eifellandschaften, die Frau Enderle malte.
Jene ,,Eifellandschaft in blauem Licht“ hatte etwas vom Erzromantischen
wie es G. K. Chesterton verstand: ,,Das Romantische in unserem Leben ist das
Tiefste, tiefer als alle Realität selber.“
THOMAS ILLMAIER
Farbfoto: „Seele des Kindes“ von Hildegard Enderle.
Bergische Blätter, 1/1993, S. 25.