PANTOMIME FÜR DISSIDENTEN
Zigarettendrehmaschine für Linkshänder
Damals rauchte ich noch und nicht nur Tabak. Meine Hauptlektüre war das I GING, bis Gerd uns besuchte und Maos Bibel mitbrachte, uns missionierte und für den Kampf fürs Jugendzentrum gewann. So wurde ich bei vieler Schulung und – ich hatte einen kommunistischen Vater – schließlich Marxist. Ich verkaufte den Arbeiterkampf und ließ mir dabei aufs Maul hauen; denn ungefährlich war das nicht. Mit dem Marxismus kam auch die Musik, die neue Musik: Ernst Buschs Marschrhythmen, feurige Gesänge der Linken im spanischen Bürgerkrieg, die hintergründigen Texte Bertolt Brechts und schließlich, die wirklich neue Musik, die atonale, antitonale, wie sie Otto Klemperer nannte, der mit der Revolution sympathisierte, das war die Musik von Hanns Eisler und Paul Dessau. Besonders gut gefiel mir das Lenin-Requiem von Eisler, Die Mutter nach Maxim Gorki und von Paul Dessau die Bach-Variationen. In der Musik von Eisler gab es zudem ein erotisches Moment, dass ich zu kosten und zu erkennen begann, als ich Sabine Sauer zu einem Schäferstündchen eingeladen hatte. Bei mir in der Vereinsstraße – ich wohnte sehr bescheiden – besaß ich Tisch, Bett, Stuhl und Stereoanlage, tastete mich an die Sonaten Beethovens heran und schließlich auch an seine Sinfonien, nachdem ich gelesen hatte, dass sie auf den Baustellen Chinas eingesetzte wurden, um den Arbeitern revolutionären Dampf zu machen. Sabine Sauer hatte sich bei mir unter das Bett verkrochen wie ein Hündchen. Ich legte Eislers Musik auf: Septett Nr. 2 „Zirkus“, Nonett Nr. 1 (Variationen), Nonett Nr.2 (Suite). Und siehe da, Sabine kam unter dem Bett hervor, und es passierte, wie es kam zu dieser Musik, mit diesem Eros, der geeignet war, die versteckte Welt unter dem Bett aufzubrechen bis sie schließlich zu Kreuze kroch und sich ergab in ihrer ganzen Wolllust sich hingab zu dieser schrägen antitonalen Musik, der offenbar keine Verkrustungen standhielten.
Eislers Musik nur zu hören, ist nicht genug; denn so wird sie nicht verstanden. Sie orchestriert die Wirklichkeit, was man sehr schön zu Bertolt Brechts Film Kuhle Wampe mithören kann. Der Stummfilm gewinnt an Tempo, Widersprüche werden diktiert, und bei allen Zerreißproben spielt irgendwo da oben noch ein Vögelein, es singt dazu. Wie in der wirklichen Welt: Über den KZ wölbte sich der stets große weite Himmel, in Birkenau zwitscherten die Vögel – bei alledem macht Gott noch immer die Musik, bis Stille einkehrt. Musik, sage ich frei nach Nietzsche, entsteht im Ausklingen der Welt; in der Stille des Gemüts kehrt Frieden ein und die Hoffnung auf ein großes neues Leben, wie Musik, die aus dem All ertönt; mir scheint, nichts anderes künden die Totenmasken, dieses seltsame befreite Lächeln, erhaben über jeden irdischen Gehalt – Stillesein. Hier mag komponieren, wer will. Mit Eisler gehen wir ein Bündnis ein. Musik der Stille, wie wär`s, wenn einer das versuchte!
Thomas Illmaier, 2009
Dialektische Reflexion
Sie besitzen immer noch den Schneid, mir ein schlechtes Gewissen zu bereiten - diese Kampfsongs der Arbeiterklasse, deren rigide Moral mich Anfang der 1970er Jahre aus dem Cannabisdornröschenschlaf riss. Das Trio Infernale: der Dichter und Dramaturg Bertolt Brecht, der Schönbergschüler Hanns Eisler und der Piscator-Schauspieler Ernst Busch trommelten mir den roten Furor ins Gemüt.
Irgendetwas hatte damals den Zeitgeist radikal verändert - was es war, darüber streiten Soziologen noch heute - wie konnten aus sybaritischen Teenagern, quasi über Nacht, glühende Fans der Idee einer Volksdiktatur werden? Sicherlich hatte das etwas mit der verlogenen Bigotterie des Adenauer-Biedermeiers zu tun, mit der verordneten spießigen Artigkeit derer, die noch vor einer Dekade ihrem Führer zugejubelt und per Befehl die Welt in Brand gesetzt hatten; sie besaßen nicht das Format von Leitfiguren. Hinter den neu verordneten Masken demokratischer Rechtschaffenheit glotzten nur schlecht verhohlen die Epigonen alter autoritärer Mächte. Die gesellschaftliche Realität dieser Tage besaß den Charme einer Provinzsparkasse - es war nur eine Frage der Zeit, bis großen Teilen der Jugend der Nyltestkragen platzte, und sie ihren Wohlstandswundervätern den schwer verdienten Sauerbraten an den Kopf warfen - so wurden wir das, was Marx & Engels nicht in ihrem Programm hatten: trotzige Popbolschewisten, Schreckgespenster geschäftiger kleinbürgerlicher Ordnungs- wächter, die sich mit dem Vietkong solidarisierten und Platten von Weill, Brecht, Eisler, Zappa, Hendrix etc. hörten, die Internationale skandierten und Guerrillaführer wie Zapata & Che Guevara verromantisierten.
In Frankreich rief man uns Enfants Terribles, in der DDR "Raudies", und hier Gammler oder frei nach Eichendorff Taugenichtse. Wenn der markige Sänger Ernst Busch hungernden und gedemütigten Arbeitern zurief "Vorwärts Genossen – Euch gehört die Zukunft", fühlte ich mich persönlich angesprochen, obwohl ich Hunger nie kennengelernt hatte, aber die Vollgefressenheit konsumberauschter Bundesbürger widerte mich an. Der saturierte Wohlstandswalzer ums goldene Kalb des Kapitals trieb Millionen meiner Generation in der westlichen Hemisphäre in Opposition.
Kalter Kaffee heute, historische Anekdote, Jugendsünden, Irren ist menschlich ... Das persönliche Heil in der gesellschaftlichen Emanzipation zu suchen, ist ein Holzweg, das wußte schon der alte Goethe – Zeit und das Lab des einsichtigen Verstandes machen Milch zu Käse: das ist geistige Entwicklungsbiologie – die Schwebstoffe haben sich gesetzt, die Brühe hat sich geklärt, die Nebel sich gelichtet: klar und deutlich tritt die Welt als Raubtiergehege, als Haifischbecken zu Tage: Egoisten aller Länder vereinigt euch zur global-ultimativen Mega-Abzocke! Soziale Gerechtigkeit ist etwas für romantische Zorros, die ihr von obsoleten Idealen angereichertes Anspruchsbewußtsein mit der Realität verwechseln. Gib auf, sage ich mir - das Ding ist gelaufen; such dir ein ruhiges Plätzchen, koch dir was Schönes, ergötze dich an der Botanik, an hochgeistigen Diskursen & Getränken, übe dich im homerischen Gelächter, aber versaue dir deine Idylle nicht mit diesen antiquierten Brecht-Eisler Songs, denn verdammt, sie haben ja immer noch recht: es gibt, will man sich nicht verblöden & verwursten lassen, keine Alternative zum Widerstand.
Gerd Pautz, 2009
Hanffeld des Sozialismus
Pensa, UDSSR, 1985. Svetlana sitzt mitten in den Hanfstauden in Omas Garten und lächelt fröhlich drein. Sie wachsen auch heute noch in und um Moskau, gehören dazu, am Wegesrand, keiner nimmt Notiz von ihnen. Natürlich ist Hanf verboten, in Deutschland der Anbau schon seit 1943. Opa kann nun nicht mehr so ohne weiteres seinen Knaster rauchen; die DDR ist verpönt. Wie es da mit dem Knistern und Knacken des befeuernden Hanfes - der zu großer Rauschmächtigkeit anschwillt, trinkt man Rotwein dazu - ging, weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass es ein großes Verbrechen, ein großer Schaden ist, dass mit dem Untergang der DDR auch die ganze heilige Tradition der Arbeiterklasse verfemt, verschwunden und benachteiligt ist. Wer hört noch Brecht, Eisler oder Busch; wer macht sich die Gedanken, dass der sozialistische Staat, der zur Diktatur nach Marxens Vorbilde spross, schließlich abstarb, wie es der historische Materialismus vorausahnte, und dass die Musik der Kommunisten, atonal, antitonal, von revolutionärem Elan und doch so wenig staatsgegründet, eben in dieser DDR gepflegt wurde. Wird Eisler denn oder Dessau in der Bundesrepublik Deutschland gespielt, wo eine SPD die Hartz IV-Gesetze orchestriert, die den Deutschen von einem Verbrecher beschert wurden – undenkbar eigentlich nach NS- und SED-Verrat und doch der Deutschen Abbild? Wird das Erbe Eislers oder Brechts denn von der LINKEN gepflegt, dieser Parlamentspartei mit ihren Schnarchern, die vor den Hartz IV-Börsen, den ARGEN AGENTUREN, ihre Flugblätter verteilt - verscheucht oder gerade eben noch geduldet vor den Türen der schlimmsten Ämter unserer Zeit, wo Arbeitsvermittler hocken, Polizeiermittlern gleich, Typen aus einer Mischung von Stasi und Gerichtsvollzieher? „Arbeiter, Bauern, nehmt die Gewehre, nehmt die Gewehre zur Hand!“ So sang Ernst Busch in einer Zeit, als Volksverhetzung noch jeden Klassenkampf verbot; denn wer dazu anstachelte, den hat die Justiz, selbst Klassenjustiz, nach eben diesem Volksverhetzungsparagraphen aus dem Verkehr jeräumt. Sozialismus mit menschlichem Antlitz: Svetlana sitzt inmitten der Hanfstauden und lächelt fröhlich drein. Nicht der DDR, aber dem Sozialismus eine neue Chance! Im übrigen, das letzte Aufgebot wird sein, wer links und rechts verbindet, wer die KPD und die NSDAP miteinander versöhnt, den linken und den rechten Flügel der deutschen Revolution; denn in der Not wie in der Liebe ist der Mittelweg der Tod. Es raunt vor den Arbeitsämtern: Gestapo? Geh da nie hin! Stasi? Ruf da nie an! Nimm aber von alledem das Beste und behalt`s. Das gilt für jedes Erbe. Die DDR gab selbst bei allem tradierten Antisemitismus Eisler und Dessau Asyl, mehr als das; sie wirkten hier als Aushängeschild des Staates, auch wenn sie nicht gerade von Arbeiters gehört wurden sondern höchstens von der sozialistischen Elite und vor allem von der Intelligenz. Sozialismus, Hanffeld, Eisler, Brecht und Dessau, ein wahrhaft menschliches Gesicht. Thomas Illmaier, 2009
Bild1: Zigarettenmaschine für Linkshänder. Straßenszene in Hamburg. Foto: Svetlana Zunder, 2009.
Bild 2: Svetlana Zunder: Zwei Füchse, Tempera auf Papier, 35 x 46 cm, 1998.
Bild 3: Pensa, UDSSR, 1985. Foto: Privat.
Dank an Michael Haentjes, Edel AG, der uns die CDs von Ernst Busch und Hanns Eisler für die Verwirklichung dieser Publikation zur Verfügung stellte. Das Werk von Ernst Busch und Hanns Eisler ist bei edel.de erhältlich.