Aids-Skulptur
– nichts für schwache Gemüter
Der Hagener Impuls
Künstler waren die ersten, die auf Aids aufmerksam
machten. Sie waren und sind – Amerika zeigt das – auch die mit
am stärksten von der Immunschwäche-Krankheit betroffene Gruppe.
Und sie waren es, die schon Mitte der 80er Jahre ihre soziale Isolation aufbrachen
und öffentlich auf ihre HIV-Infektion aufmerksam machten.
Das rechtfertigt
an sich schon eine Kunstausstellung zum Thema Aids, wie sie das Karl Ernst
Osthaus-Museum 1993/94 als erste dieser Art zeigte. Michael Fehr, Direktor
des Hagener Museums, geht aber noch einen Schritt weiter. Er fragt: »Welche
Stellung bezieht ein Kunstmuseum in diesem Bilderstreit? Müßte
es sich nicht aktiv einmischen? Kann es weiter auf seiner passiven Rolle als
historischer Speicher bestehen?»
Offenbar nicht; denn
Aids bleibt nach wie vor ein Stein des Anstoßes, den das Osthaus-Museum
mit Werken der Aids-Aktivisten Keith Haring, Tom Fecht und Dui Seid erst so
richtig ins Rollen brachte. Im Frühjahr 1997 holte Michael Fehr Dui Seid,
US-amerikanischer Künstler chinesischer Abstammung, erneut nach Hagen.
Dort präsentierte Dui Seid seine stärksten Kaliber. Dui Seid arbeitet
mit blutigen Tierkadavern beziehungsweise ihren Nachbildungen in Wachs, Abfällen
aus Operationssälen, Binden, Spritzen und anderem Junk. Dui Seid, der
als Pfleger von Aids-Kranken gearbeitet hat, wollte zunächst gar keine
Kunst zum Thema machen. Vielmehr war es sein zerstörter Glaube an Schönheit,
Harmonie, Gerechtigkeit und Ordnung, der ihn zur emotionalen und philosophischen
Auseinandersetzung mit dem Tabu zwang und seine durch Religion und Kultur
ererbten Überzeugungen radikal in Frage stellte.
Dui Seid leistet
mit seinen Werken Bewußtseinsarbeit, die unter die Haut geht. Sie ist
darauf angelegt, das Wegsehen, das Vergessen und Verdrängen, Isolation
und Ausgrenzung durch das Tabu zu überwinden. In den USA läßt
sich seit kurzem wieder eine puritanische Richtung ausmachen, die das Thema
als schmutzig ansieht und es daher in der Öffentlichkeit lieber verschweigen
möchte. Dui Seids Kunst ist als Gegenreaktion auf diese Entwicklung zu
verstehen.
Michael Fehr lud
Dui Seid aber nicht nur zu Besuchen ein, sondern kaufte seine Skulpturen »In
whose name» und »Great American Nude» für das Osthaus-Museum
an. Der Künstler bedankte sich auf seine Weise. Er schenkte dem Osthaus-Museum
eine wahrhaft schockierende Skulptur »U-Brace Against the Door».
Die drei mal drei Meter umfassende Präsentation dreier blutiger Knochen,
die eine Tür aufgestoßen haben, die sie triumphierend auf der Spitze
wie auf Pferdehufen balancieren, zeigt wie keine andere der Figuren von Dui
Seid den Impuls, politisch und bewußtseinsbildend auf die menschliche
Gesellschaft einzuwirken.
Das blutige Werk
„Against the Door“ müßte, um seine Funktion vollends
zu erfüllen, eigentlich auf dem Marktplatz einer mittleren deutschen
Großstadt stehen. Allein der Gedanke daran macht bewußt, wie stark
die psychologische Abwehr gegen Kunst dieser Art ist, während doch Kunst
als Problemlöser allgemein akzeptiert wird.
Das Karl Ernst Osthaus-Museum
bleibt jedoch in erster Linie ein Kunstmuseum. Auch die extreme, nämlich
Grauen erregende Kunst von Dui Seid braucht in künstlerischer Hinsicht
ein Gegengewicht. Deshalb holt Michael Fehr für die Objekte Dui Seids
das befriedende Pendant in Gestalt der Werke von Hyun-Sook Song aus Korea
in das Hagener Museum, wo sie parallel zu Dui Seids Werken präsentiert
wurden. Die Bilder von Frau Song strahlen meditative Ruhe aus, als hörte
man den Ton eines uralten Gongs. Als Gegengewicht zur katastrophalen Wirklichkeit
ist der zutiefst humane Aspekt edler und reiner Kunst unverzichtbar; denn
daraus zieht der Mensch seine gesammelte Kraft, will er die Wirklichkeit
verändern. Thomas Illmaier
Bild: “U-Brace against the door” (1988) von Dui Seid.
Westfalenspiegel, 1-1997, S. 24.