KULTUR
Diplomatie der toten Maler
Die Schätze des Nationalen Kunstmuseums Bukarest erstmals im Westen
Verschollen, vergessen, verkannt – so kann man umschreiben, wie es einer
kostbaren Sammlung von Meisterwerken westeuropäischer Kunst erging, bevor
sie im Zuge der Revolution in Rumänien das Tageslicht der Welt erneut
erblickte. Meisterwerke «Von Cranach bis Monet» aus dem Nationalen
Kunstmuseum Bukarest sind im Von der Heydt-Museum Wuppertal vom 16. Januar
bis 20. März 1994 in einer einmaligen Sonderausstellung zu sehen.
Zwar kennt die Fachliteratur
El Grecos Meisterwerk «Die Verlobung Marias», aber wer je auf
der ganzen Welt hat das Werk bisher gesehen? Und so geht es mit Rembrandts
«Haman bittet Esther um Gnade» oder Rubens‘ «Frauenbildnis»
aus seiner italienischen Zeit.
Die Sammlung westeuropäischer
Kunst aus dem Nationalen Kunstmuseum Bukarest wurde im 19. Jahrhundert von
Carol I., einem Spross der Hohenzollern-Linie Sigmaringen, erworben, der sie
Rumänien 1914 vermachte. Carol oder Karl I. war König von Rumänien
1881 bis 1914; er hatte Rumänien bereits als Fürst 1866 bis 1881
regiert. Durch ihn und seine fast 50jährige Regierungszeit schloss sich
Rumänien kulturell und politisch an Mittel- und Westeuropa an. Karl,
der Sohn des Hohenzollern-Prinzen Karl Anton (er wurde von Wilhelm I. bei
seiner Krönung zum König von Preussen 1861 zum Ministerpräsidenten
ernannt) und der Josephine von Bade, Tochter der Stephanie Beauharnais, hatte
eine erlesene geistige Bildung genossen.
Er studierte an der
Universität Bonn unter anderem auch Kunstgeschichte, und zwar bei Anton
Springer, dessen «Handbuch der Kunstgeschichte» (1855) durch zahlreiche
Auflagen bis ins 20. Jahrhundert eine der meistgelesenen kunsthistorischen
Darstellungen blieb. Anton Springer weilte nach Karls Thronbesteigung als
dessen Gast des öfteren in Rumänien. Karl unternahm ausgedehnte
Studienreisen, die ihn mit der Kunst Frankreichs, Italiens, Spaniens und Portugals
bekanntmachten. Als König von Rumänien regte er auch die Denkmalpflege
an und restaurierte die Sakralbauten.
Carol I. legte den
Grundstock seiner Kunstsammlung Ende des 19. Jahrhunderts an. Seit 1879 begann
er systematisch zu sammeln. Behilflich war ihm dabei Konsul Felix von Bamberg,
ein Diplomat, Historiker und Kunstkenner. Er war Konsul Preussens und von
1851 bis 1870 Konsul des Deutschen Bundes in Paris. Bamberg verfasste zahlreiche
Schriften über Geschichte und Politik, auch eine Phänomenologie
des künstlerischen Schaffens. Er gab die Briefe des Dramatikers Friedrich
Hebbel heraus und weilte als Freund der Musen oft in Paris, wenn er nicht
Italien bereiste auf der Suche nach Verkäufen wertvoller Sammlungen oder
kostbarer Einzelstücke.
Königlicher Grundstock
Felix Bamberg hat zuerst 1879, dann 1886 und 1889 wertvolle
Gemälde aus seiner Sammlung an Carol I. übertragen, die den Grundstock
bilden der heutigen Sammlung westeuropäischer Kunst des Nationalen Kunstmuseums
Bukarest.
Das Meisterwerk El
Grecos, «Die Verlobung Marias», und dessen «Martyrium des
heiligen Mauritius» führen die spanische Schule an, die außerdem
mit Werken von Francisco de Zurbarán, Alonso Cano und Murillo während
der Sonderausstellung im Von der Heydt-Museum Wuppertal vertreten ist.
Das Gemälde
«Frauenbildnis» des spanischen Meisters Sanchez Coello, das Carol
I. 1881 ankaufte, entpuppte sich nach späterer eingehenderer Prüfung
als ein bisher verkanntes Werk von Peter Paul Rubens, der es während
seiner genuesischen Zeit malte. Es gehört zu Rubens‘ schönsten
Frauenbildnissen; Rubens, der übrigens in Siegen/Westfalen, nicht unweit
von Wuppertal, das Licht der Welt erblickte. Zu den flämischen und holländischen
Meistern, die während der Ausstellung im Von der Heydt-Museum gezeigt
werden, gehören auch Gemälde von Van Dyck, Brueghel und anderen.
Einen Sonderfall bietet Rembrandts «Haman bittet Esther um Gnade».
Das wuchtige Werk wurde nach der im Rijksmuseum Amsterdam durchgeführten
Restaurierung Rembrandt zugeschrieben. Wahrscheinlich hat sein Schüler
de Gelder daran mitgearbeitet.
Was wäre die
europäische Malerei ohne die italienischen Maler der Neuzeit? Lorenzo
Lotto, Bassano, Tintoretto, die Venezianer also, sind mit Meisterwerken in
der Wuppertaler Heydt-Ausstellung vertreten. Tintorettos Bilder «Verkündigung»
und «Marc Antonio Barbaro» konnten bis jetzt nicht gereinigt und
restauriert werden.
Die deutsche Kunst
reicht vom Sakralen und gegen den Manierismus Italiens gerichteten Werken
von Bartholomäus Zeitblom über Cranach d.Ä. bis hin zur Moderne
eines Fritz von Uhde und dem am französischen Pleinairismus geschulten
Max Liebermann.
Die französische
Schule bietet Courbets «Winterlandschaft», die blühenden
Gärten von Pissarro und Monets Portrait-Studie «Camille»,
dessen früh verstorbene Gattin, nebst Meisterwerken von Renoir, Boudin,
Dupré und andern.
Die nach dem Sturz
des Ceausescu Regimes wieder zugängliche Sammlung aus dem Nationalen
Kunstmuseum Bukarest harrt indessen noch vielfältiger Instandsetzung.
Das Budget der Rumänen ist beschränkt. Durch die Revolutionswirren
1989 und den Angriff auf den früheren Königspalast, in dem die Sammlung
der unschätzbaren Werke untergebracht und die zuletzt noch Sitz des Zentralkomitees
der Kommunisten gewesen war, wurden eine Reihe von Meisterwerken beschädigt
oder ganz zerstört. Eine Fotodokumentation der Revolutionsereignisse
ergänzt die Heydt-Ausstellung. Die Instandsetzung des ehemaligen Königspalastes,
der heute wieder nationales Kunstmuseum ist, erfordert grosse Summen, soll
die Restaurierung au das Niveau westeuropäischer Museen gebracht werden.
Das aber wäre notwendig, damit die Meisterwerke der Nachwelt erhalten
bleiben. So warten verschiedene Gemälde noch auf ihre Reinigung, um sich
in ihrer ursprünglichen Pracht zeigen zu können.
Nachdem der Eiserne
Vorhang Rumänien von Europa abgetrennt hatte, beginnt nun, nach der Wende,
ein reger Kulturaustausch. Die Fäden, die Rumänien kulturell und
politisch mit Europa verbinden, werden wieder geknüpft. Der von Rumänien
gewünschte Eintritt ins europäische Haus könnte nicht besser
vorbereitet werden als durch jene Meisterdiplomaten: Von Cranach bis Monet.
Thomas Illmaier
Von Cranach bis Monet. »Europäische Meisterwerke aus dem Nationalen Kunstmuseum Bukarest – eine Sonderausstellung im Von der Heydt-Museum Wuppertal, 16.1. bis 20.3 1994. Katalog mit 60 Farbabbildungen zum Preis von 40 DM. Öffnungszeiten Di bis So 10-17 Uhr, Donnerstag 10 bis 21 Uhr, Auskünfte Tel. 0049/202/563 2471.
Die Weltwoche, Nr. 3, 20.01.1994, S. 42.