Das zutiefst Staunenswerte der Wahrheit.
Über das Buch „Zen in der Kunst der Menschenführung“
von Thomas Cleary
Der befreite Geist eines Zen-Meister oder Ch’an Meisters,
wie er im Chinesischen heißt, ist schwer zu finden. Als sich im alten
China die weltliche Regierung in die religiösen und priesterlichen Geschäfte
einmischte, war das ein Zeichen, daß Unabhängigkeit und Selbstgenügsamkeit
des Ch‘an, des chinesischen Buddhismus, vorbei waren.
Die Stimmen, die vor dem Untergang des Buddhismus warnten, mehrten sich; Thomas
Cleary vereinigt in seinem Buch „Zen in der Kunst der Menschenführung“
Texte von Ch‘an Meistern, die das Wort gegen Verfall und Entartung des
Buddhismus erhoben. Das ist ein interessantes Kapitel und wirft ein Licht
auf unsere heutigen Verhältnisse, die eine Renaissance des Buddhismus
ankündigen. Nicht von ungefähr erscheint dieser Text jetzt in Europa
und Amerika.
In den Zeiten des
Verfalls – ähnliche Warnungen mehrten sich seit Nagarjunas Zeiten
im Indien des 2.Jahrhunderts – kommt es auf richtige Menschenführung
an, da die Schüler sich sonst leicht verirren würden. Da der erleuchtete
Geist und seine Kraft schwer zu finden und im Niedergang begriffen war, griff
man auf die Tugenden des Buddhismus zurück wie in jeder anderen Religion
auch. – ,,In das Antlitz eines tugendhaften Menschen zu schauen, klärt
den Geist der Menschen“. Die Guten waren also noch da und zu sehen;
sie sind die Wichtigen gegenüber den ich- und selbstsüchtigen Heuchlern,
die der Untergang für jede Gesellschaftsform sind. Sie höhlen die
Bestände aus Tradition und Tugend langsam aus. Werden die Guten seltener,
bleiben die Großen Erleuchteten aus, vertraut man besser auf keinen
Lehrer, besonders wenn er noch weniger kann als man selbst. Man folgt besser
dem eigenen Herzen und dem gesunden Menschenverstand. Noch existieren Schriften,
aus denen man schöpfen kann.
,,Wenn du vertrauensvoll
empfangen und danach handeln kannst, wozu dann außerdem noch den Buddhismus
suchen?“ So schrieb einer in den Stein. Die Steine sprechen auch heute
noch: Die Klangprobe auf wahre Meisterschaft.
Thomas Illmaier
Das Buch „Zen in der Kunst der Menschenführung“ von Thomas
Cleary (Hrsg.) ist im O.W. Barth Verlag (1990) erschienen.
In: Bodhi Baum, 1/1991, S. 54.