Fritjof Carpa HALLUZINOGENE UND KULTUR
Gradwanderung der Wissenschaft

Als Robert Ranke-Graves, ein Spross des großen deutschen Historikers Leopold von Ranke, sein Buch „Griechische Mythologie“ bei Rowohlt publizierte, konnte er - man schrieb das Jahr 1961 - noch unbekümmert schreiben:
„Ich selbst aß psilocybe, den halluzinogenen Pilz, die göttliche Ambrosia, die seit undenklichen Zeiten bei den Mazatek-Indianern der Oaxaca-Provinz in Mexico in Gebrauch ist; ich selbst hörte die Priesterin den Pilzgott Tlaloc anrufen und hatte transzendente Visionen.“
Und er fragt, welche Beziehung es zwischen dem alten halluzinogenen Griechenland, insbesondere den Mysterien von Eleusis, die im Jahr 396 von den christlichen Goten zerstört wurden, und den bis ins 16. Jahrhundert hinein überlebenden Maya-, Azteken- und Inkakulturen und ihren Pilzriten gegeben haben mag. Handelt es sich lediglich um rein zeitliche Verschiebungen des Untergangs prächristlicher halluzinogener Stammeskulturen, die dem Ansturm des - im Namen Jesu Christi - grausam hochgezüchteten Willens zur Macht einfach nicht standgehalten hatten?
Bezeichnenderweise hat der Rowohlt Verlag dieses bemerkenswerte Vorwort Ranke-Graves’ aus der aktuellen Ausgabe seines Werkes „Griechische Mythologie“ gestrichen.
Positiv dagegen zu bewerten ist die Veröffentlichung eines grundlegenden, zweibändigen Werkes unter dem Titel „Maya“, das kürzlich im Hirmer Verlag erschien. In diesem, allerdings sehr teuren Werk kann man immerhin etwas Einschlägiges in den Kapiteln über die Rituale nachlesen:
„Wie das Blut, so wurde auch das Sperma als heilige Flüssigkeit angesehen... Die Opferung von Blut und Sperma ging einher mit Fasten, sexueller Abstinenz, Schlafversagen, reinigenden Bädern oder auch die Abkehr von den Bädern, rhythmischen Gebeten, Tänzen und Gesängen und der Einnahme von psychoaktiven Substanzen: Tabak, halluzinogenen Pilzen und Pflanzen wie auch berauschenden Getränken.“
„Darüberhinaus war das Opfer des eigenen Blutes auch ein Mittel zur Transfiguration des Opfernden, denn neben sehr unterschiedlichen asketischen Praktiken, zu denen der Genuss von halluzinogenen Pilzen und Pflanzen gehörte, war der Aderlass ein Verfahren, mit dem der Opfernde übernatürliche Kräfte erlangen und sich in einen Schamanen verwandeln konnte.“
Die Schamanen unter den Wissenschaftlern sind allerdings rar. Dass Wissenschaft nicht unbedingt mit Wahrheit schwanger geht, weiß auch Fritjof Capra, der in seinen weithin berühmten Werken über zeitgenössische Physik und das Ringen um ein zeitgemäßes Weltbild eine entsprechende Korrektur fordert. Im Vorwort zur Erstausgabe seines Buches „Das Tao der Physik“ bekennt er sich voll zum inspirierenden Rausch psychoaktiver »Kraftpflanzen«, wie er sie nennt:
„Vor fünf Jahren hatte ich ein wunderbares Erlebnis... Eines Nachmittags im Spätsommer saß ich am Meer und sah, wie die Wellen anrollten, und fühlte den Rhythmus meines Atems, als ich mir plötzlich meiner Umgebung als Teil eines gigantischen kosmischen Tanzes bewusst wurde. (...) Ich »sah« förmlich, wie aus dem Weltraum Energie in Kaskaden herabkam und ihre Teilchen rhythmisch erzeugt und zerstört wurden.“
Diese Erfahrung war für Fritjof Capra so überwältigend, dass er „in Tränen ausbrach und gleichzeitig wie Castaneda“ seine „Eindrücke auf einem Blatt Papier festhielt.“
Fritjof Capra erlebte wie viele andere auch, deren Weltbild durch den Genuss der Zauberpilze ins Wanken geraten war, einen ungeheuren Kreativitätsschub. Seine Bücher beeinflussten viele Zeitgenossen, auch solche von Rang wie etwa Rupert Sheldrake oder Terence McKenna - von den vielen Epigonen auch hierzulande ganz zu schweigen.

Thomas Illmaier

Bild: Räuchergefäß aus Palenque, Terrakotta, späte klassische Periode der Maya. (Hirmer)


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