BUDDHISMUS UND KUNST
Thomas Illmaier
Kleine Essay-Sammlung
Fließende Flüsse wetteifern nicht miteinander. (Zen-Spruch)
SEHEN UND SCHAUEN
Der Mensch sieht. Der Künstler schaut. Der wahre Mensch
schaut heraus, wenn der Künstler sieht.
Sehen ist ein Aspekt
des vorurteilsgeladenen, anerzogenen, dressierten und zweckgerichteten Denkens.
Schauen beinhaltet Sehen, aber nur als Aspekt. Darum vermag das Schauen das
Sehen zu durchschauen.
Fernöstliche
Kunst geht von der Leere, europäische Kunst von der Form aus. Seit dem
Austausch der Kulturen in diesem Jahrhundert ergibt sich die Synthese: Die
gegenstandslose Kunst zeigt beide Aspekte, nämlich Form und Leere.
Willi Baumeister, einer der Vorreiter auf diesem Gebiet der Durchdringung
der Kulturen, selbst Maler und Philosoph, wird nicht müde, auf diesen
Unterschied in der Einheit hinzuweisen.
Schauen sieht die
Formen der Leere und die Leere der Form. Einer der ersten, die diesen Unterschied
in der Einheit zum Ausdruck brachten, war Cézanne, der große
französische Maler. Im Anhang seines Buches „Das Unbekannte in
der Kunst“ widmet Baumeister Cézanne, der eine einzige große
Mutation gewesen ist, ein Kapitel, einen Essay, der das sehr fein beleuchtet.
In der Kunst von Cézanne löst sich das naturalistische Weltbild,
die Welt des Sehens, völlig auf. Was bleibt, ist eine Welt aus Farben
und Formen, ,,gleichsam fast ohne Inhalt“. Wir erinnern uns: Die Welt
im Innern ihres Kerns ist leer. Reine Selbstlosigkeit: Die Welt wird Form,
die Form wird leer. Unsere Welt ein Bild, gleichsam fast ohne Inhalt.
Soweit die Malerei von Cézanne. Man lernt an ihrem Beispiel das Schauen,
das vorurteilsfreie Wirken der Dinge auf sich: Form ist Leere, Leere ist Form.
Für Willi Baumeister
sind die Maler diejenigen Lehrer, die den Menschen das Schauen lehren, das
er seit Kindesbeinen wieder verlernt, um sich das Sehen anzugewöhnen.
Ein interessantes Beispiel ist der Fund der Altamira-Höhle in Spanien
mit seinen prähistorischen Felszeichnungen. Die Höhle entdeckte
jemand auf dem Gebiet seines Gutes. Die Zeichnungen entdeckte ein Kind, das
sein Vater eines Tages mit in die Höhle nahm. Der Mensch sieht oft nicht,
was das Kind noch schauen kann.
Der Blick des Malers
auf die gegenstandslose Welt ist vorurteilsfrei, neutral gleichsam: Alles
hat darin seinen Platz. ,,In dieser Betrachtungsweise gewinnt die Welt eine
seltene Tiefe und Weite, gleichsam durch eine ungeheure Neutralität:
das Sein, die Einheit.“ Aus dieser Mitte, dem Tao, wie es Baumeister
nennt, schafft, schöpft der Künstler sein Werk – Ruhe der
Betrachtung, Ruhe der Augen sind der Ausgangspunkt. Er nennt es Meditation.
Die neuen Maler lehren uns das Sehen, was das Sehen eigentlich ist. Es gehört
in unsere zweckgerichtete Konsumgesellschaft. Die Schau bewirkt die Auflösung
der Dinge: Die gegenstandslose Welt bricht an. Malewitsch, der das vom Höhepunkt
der russischen Revolution aus „sah“, wird das mit seinem Licht
durchdringen.
Anmerkung: Willi
Baumeisters literarisches Hauptwerk „Das Unbekannte in der Kunst“
ist im DuMont- Verlag erschienen.
DAS REICH DER LEERE
Kasimir Malewitsch entwirft auf dem Höhepunkt der russischen
Revolution das Programm einer „gegenstandslosen Welt“ in der Kunst.
Er malt das „befreite Nichts“ – visualisiert den „Suprematismus“,
die Lehre von den höchsten Wahrheiten in der Kunst. Ob sich das praktische
Leben zu seinen Ansprüchen erheben konnte, war ihm egal. Er war Künstler,
er holte weit aus.
Malewitsch wurde
getragen vom Geist, den die Revolution kolossal freisetzte. Für einige
Jahre ging das gut, und man sah, wohin die Revolution hinaufgehen konnte.
Aber die Kunst Malewitschs
ist eigentlich gar nicht revolutionär, wie wir uns „Revolutionen“
immer vorstellen. Ein Rückwärts zum Nullpunkt, so weit ging er mit.
Was dann geschah?... Er nahm die Formen, aus denen die gegenständliche
Welt besteht und zerbrach sie vollkommen; sie waren plötzlich außer
Beziehung gesetzt. Plötzlich Formen ohne Zusammenhang, plötzlich
wird Freiheit offenbar.
Die Revolution im
höchsten ist Leere, die Freiheit ist unteilbar, wo sie wirkt, schafft
sie Raum, egal auf welcher Ebene der Nullpunkt wirksam wird. In dieser Leere,
schweben die Formen, das befreite Nichts ihrer gegenständlichen Beziehungen.
Alles ist noch da – nur ohne eine Grenze. Es grenzt an Zauberei –
die Formen sind befreit. Die gegenständliche Welt versinkt ins Nichts
und wird im Sog der Leere in Marsch gesetzt. Die Welt wird gegenstandslos
im Sosein ihrer wahren Vollkommenheit. Geometrische Formen ihres gegenständlichen
Charakters beraubt: Es bleibt keine Beziehung übrig, in denen unser Alltagsverstand
sie verdinglichen könnte. Sie sind befreit: Das ist die gegenstandslose
Welt, wie Malewitsch sah, das befreite Nichts, die suprematistische Vision.
Die höchste
Befreiung: der Weg der Revolution läßt sich anschaulicher nicht
denken, wie Malewitsch sie sah. Seine Beschreibung ist religiös, wenngleich
er jenseits aller Religionen war. Und doch ist seine Beschreibung und Deutung
der Welt vollkommener Freiheit buddhistisch allemal. Das Nirvana, das Erlöschen
gegenständlicher Wahrnehmung, des Hungers nach Form kennzeichnet das
Werk Malewitschs. Besser nicht sein Werk, sondern den Weg, die Intention der
Revolution: Die Freiheit ist unteilbar, Nirvana ist unteilbar. Die höchste
Freiheit schielt immer nach Buddhismus hin; denn hier ist sie zum ersten Mal
und vielleicht endgültig Erfahrung. Wer zur höchsten Freiheit will,
kreuzt Buddhas Weg, und sei es in der Revolution von 1917, die ja Freiheit
sah – Form ist Leere, Leere ist Form. Mit diesem Spruch des Mahayana
sollte man durch eine Ausstellung, durch einen Katalog von Werken Malewitschs
spazieren; man wird das Herz der Revolution buddhistisch schlagen hören.
Und man wird staunen, wie höchste Wahrheit sich paaren kann im Absoluten.
Zu Zeiten schlägt das Mahayana auch nach Rußland hin.
Anmerkung: Malewitschs
literarisches Hauptwerk „Suprematismus. Die gegenstandslose Welt oder
das befreite Nichts.“ ist als Taschenbuch im DuMont-Verlag erschienen.
MUTATION
Piet Mondrian war ein Zeitgenosse Malewitschs: Wie er ging
auch Mondrian den Weg der gegenstandslosen Malerei. Während im Werk Malewitschs
noch die Vision der gegenstandslosen Welt spürbar ist, fehlt selbst auch
dieser seherische Aspekt in der Kunst Mondrians; er zeigt nicht Dinge, auch
nicht die Vision von aufgehobenen Dingen, sondern Beziehungen, Verhältnisse:
Das Unsichtbare zeigt er an.
Das Unsichtbare, das gänzlich losgelöst ist von einer materiellen
Welt ist die Freiheit par excellence.
Verhältnisse
darzustellen, mehr mathematisch als geometrisch und abstrahiert vom Zwang
der materiellen, natürlichen Welt.
Die natürliche
Welt ist tragisch. Sie gebiert Leid; denn sie ist gebunden an die Sinnlichkeit,
deren Verhaftetsein Sklaven erzeugt. Die Kunst, insofern sie der natürlich
sinnlichen Welt verhaftet bleibt, ist tragisch; sie führt nicht über
den Naturalismus hinaus. Das Weltbild des Naturalismus ist beschränkt,
es führt nicht über das dreidimensionale Weltbild, das körperlich
konkret ein Gefängnis ist, hinaus. Es steht grundsätzlich mit dem
Anspruch des Geistes, der auf Freiheit geht, in Widerspruch.
Also die Welt des
Blutes, die Sinnlichkeit, gegen die Welt des Geistes, die Freiheit. Mondrian
löst diesen Widerspruch schrittweise. Durch Aufhebung zunächst,
die Neutralisierung des Gegensatzes durch gleichgewichtige Beziehungen. Die
neue Welt tritt erst durch gleichgewichtige Beziehungen, die Dualität
harmonisch konstellierter Gegensätze, in Erscheinung.
Erst durch die Gleichwertigkeit,
eine hierarchielose Neutralität im physisch-psychischen Bereich, tritt
die neue Einheit zu Tage. Auf ihr baut die neue Welt auf; ihre Erscheinung
ist bedingt durch Mutation, ein schwereloses Gleichgewicht, das dem Bewußtsein
einen Sprung erlaubt und ihn definitiv gebiert.
Voraussetzung dazu
ist für Mondrian die radikale Ausmerzung des Ich. Das Ich ist eine Geburt
der natürlichen Welt, geradezu ihre Funktion. Das Ich wirkt beschreibend
und reproduzierend die natürliche Welt und ihre Tragik, die aus dem festumrissenen
Plan der dreidimensionalen Lebenswelt entsteht. Hier gibt es kein Ausweichen.
Das Ich muß weg. Erst dann wird dem Universellen Raum gegeben, das durch
das Individuelle des menschlichen Ich bisher verdeckt wurde. Die Universalität
menschlicher Beziehungen wird bewußt. Und was ist das, das Menschliche?
Es ist unsere Beziehung zu dem, was ist. Darüber einen Augenblick meditiert
und die ganze Kunst Mondrians wird von ihrem Wesen her verständlich.
Ichvergessenheit, populär ausgedrückt, schafft die Kunst Mondrians,
und ihr vollkommenes Verständnis läßt das Universum durch
die Augen des Malers sehen.
Anmerkung. Piet Mondrian:
Neue Gestaltung (1974); Michel Seuphor: Piet Mondrian. Leben und Werk (1956);
Johannes Itten: Kunst der Farbe. Kap. IV -Piet Mondrian. (1961)
OSKAR SCHLEMMER UND DER BUDDHISMUS
Vor kurzem sah ich auf dem Schutzumschlag eines Buches von
Claudia Szczesny-Friedmann ein Bild von Oskar Schlemmer. Das Buch trug den
Titel „Die kühle Gesellschaft – von der Unmöglichkeit
der Nähe...“ Es ist eines von den weitverbreiteten Mißverständnissen,
Oskar Schlemmers Bilder mit Entfremdung, Unnahbarkeit seiner Figuren, ja Beziehungslosigkeit
in Verbindung zu bringen. Man mag das in seine Bilder hineinsehen, ihre Essenz
ist das nicht.
Schlemmer hat sich zeitlebens (1888 - 1943) mit dem Problem herumgeschlagen:
Wie bringe ich den Menschen mit dem Raum in Verbindung? Mensch und Raum sind
ihm die beiden Extreme, die es zu verbinden galt. Um es vorwegzunehmen: er
erfand den Tänzer, den kosmischen Tänzer wohlgemerkt, den er auch
auf die Bühne (des Bauhauses) brachte. Der Tänzer ist diejenige
Kunstfigur, die alle Partien, alle Möglichkeiten des Raumes voll ausschöpfen
kann; spielerisch gleichsam und – je nach Bedarf – auch hochsymbolisch.
Das Fehlen von Symbolen, fand Schlemmer, sei ein Mangel seiner Zeit...
Der Raum ist ein
Synonym für Nirvana und wird als Gleichnis desselben schon in den frühen
Schriften des Buddhismus bezeugt. Schlemmers Menschen entdecken den Raum,
entdecken Nirvana. Die Spiritualität seiner Bilder bezeugt „Space
Awareness“, Achtsamkeit für den Raum, unsere Beziehungen zueinander
im Raum. Es ist ein Mysterium, den Raum zu entdecken, Nirvana das Unfaßbare
kündigt sich an. Das ist, was seine Menschen entdecken.
Buddha hat auf Schlemmer zeitlebens eine große Wirkung gehabt. Noch
im Krieg, im Felde 1915, sucht er ,,die Ruhe, die buddhistische Ruhe“
(Tagebücher, 12. Juli 1915). Er wird in der Kunst versuchen, die Tiefe,
das Unsentimentale der buddhistischen Kunst, das Ostasiatische für sich
zu retten, für uns zu überliefern: in seinen Bildern ging es auf.
Oskar Schlemmer starb,
wie man weiß, einen schnellen Tod nach einem kurzen Leben; wenige Wochen
vor seinem Ende schreibt er ins Tagebuch (20. Februar 1943): ,,Wenn ich an
die verschiedenen ,verfügbaren‘ Götter denke, die ich mir
einverleiben könnte, assimilieren, um in einen nun wünschenswerten
Zustand zu gelangen, so sehe ich immer wieder nur den breiten und gelassen
in sich ruhenden Buddha.“
Anmerkung. Oskar
Schlemmer: Briefe und Tagebücher. (1958); Oskar Schlemmer u.a.: Die Bühne
im Bauhaus. (1965)
DAS DRITTE AUGE: KUNST UND PROPHETIE
Wenn man Peter Grieder glauben darf, so schließt sich
das Dritte Auge beim Eintritt in die Pubertät, öffnet sich wieder
in gereiften Jahren. Wenn Buddha das Dritte Auge auf die Zukunft richtet,
konnte er wahrnehmen, wohin einer ging, welche Existenzform er annehmen würde;
Entsprechendes wurde ihm zuteil, wenn er auf die Vergangenheit sah. Buddha
kann das Karma der Menschen betrachten. Mythos? Ja und nein; es kommt darauf
an, wie rein ein Buddha schauen kann; wie klar blickt ein Buddha?
Prophetie heißt
Voraussicht und kommt aus dem Griechischen in unsere Sprache. Das Mittelalter
hat viel darüber nachgedacht und hatte womöglich Umgang damit. Zumindest
hat es sich befleißigt, prophetische Stellen der Bibel seinem Verständnis
nach auszulegen. Im Mittelalter hatte die Prophetie und die Antwort auf die
Frage, wie sie möglich ist, ihren festen Platz im Weltbild der Theologen.
Thomas von Aquin widmet der Prophetie eine längere Abhandlung in seinen
„Quaestiones de Veritate“ (Fragen über die Wahrheit), die
Edith Stein teilweise ins Deutsche übersetzte. Nach Thomas ist der Prophet
der (lat.) procul fans et videns, der fernhin Sprechende, der Verkünder,
und der fernhin Sehende, der Seher also. Wie Thomas nun das Dritte Auge des
Propheten zeigt und in Aktion treten läßt, mag der interessierte
Leser in einer größeren Bibliothek nachlesen, wie gerne wir auch
hier darauf eingehen würden, es sprengte etwas den Rahmen.
Begabtere Propheten
sind die Künstler. Zu allen Zeiten hatten sie Zugang zum Unsichtbaren;
sie sahen, was für andere ohne die Gabe der Prophetie, ohne das Dritte
Auge schlechterdings unsichtbar war. Von daher werden Künstler oft nicht
verstanden. Es gehört einige Intelligenz dazu, die Visionen der Zukunft
allgemein verständlich darzustellen.
Eine einfache Darstellung eines prophetischen Inhalts ist etwa das Bild „Der
Rufer“ von Carl Hofer, das 1935 entstand. Es zeigt einen fast nackten
und nur mit einem Lendenschurz bekleideten Mann inmitten einer zerstörten
Landschaft; Berge wie Ruinen türmen sich im Hintergrund auf. Man schrieb
das Jahr 1935 und Hofers Bild wurde allgemein verstanden, nicht nur als Zeuge
der Zeit, sondern auch der Folgezeit: Man ahnte, was da kommen würde.
Kandinsky schreibt
in seinem Buch „Über das Geistige in der Kunst“ (1912): ,,Diese
Kunst, die keine Potenzen der Zukunft in sich birgt, die also nur das Kind
der Zeit ist und nie zur Mutter der Zukunft heranwachsen wird, ist eine kastrierte
Kunst. Sie ist von kurzer Dauer und stirbt moralisch in dein Augenblick, wo
die sie gebildet habende Atmosphäre sich ändert. Die andere, zu
weiteren Bildungen fähige Kunst wurzelt auch in ihrer geistigen Periode,
ist aber zur selben Zeit nicht nur Echo derselben und Spiegel, sondern hat
eine weckende prophetische Kraft, die weit und tief wirken kann.“
Der Künstler
ist also Seher. Wie kann er das sein? Alle Künstler zeichnet eine tiefe
und lebendige Vorstellungskraft aus. Die Tiefe ihrer Vorstellungskraft läßt
sie Bilder aus dem Unbewußten schöpfen. Zwischen dem Bewußtsein
und dem Unbewußten ist eine fließende Grenze, die es den Bildern
der Tiefe erlaubt, über die Schwelle des Bewußtseins zu treten.
Den normalen, „seherisch“ nicht so begabten Menschen hindert sein
Ich, die Dominanz des Bewußtseins, die Schwelle des Unbewußten
zu überschreiten und Einblick in unbewußte, bildhafte Prozesse
zu nehmen. Er muß sich mit Träumen begnügen. Nicht so der
Künstler: Er schöpft aus dem Unbewußten bei Tag und bei Nacht,
seine Bilder geben Zeugnis davon.
Die Zukunft ist offenbar. Sie wird geahnt und kündigt sich an. Ahnung
ist, wie der Maler Fritz Winter bezeugt, ein Schlüsselwort der modernen
Kunst. – Was aber nicht heißen soll, daß sie romantisch
ist (im Gegenteil eher unerbittlich). Was an Samen der Zukunft geahnt wird,
verdichtet sich zum Bild im Unbewußten, und der Künstler ist der
erste, der es sieht: Sein Spiegel zeigt das kollektive Unbewußte, das
unser aller Bewußtsein ist, nicht das separate Ich des blinden Verstandes,
der den Alltag dominiert (und oft schlecht dominiert), der nicht die tiefsten
Tiefen des Geistes ausloten kann. Der Künstler bringt ins Bild, was andere
vielleicht nur ahnen, bis es dann zur Wahrheit wird.
Jean Fautrier, ein
anderer „Moderner“, formuliert es erneut: ,,Nur indem man einen
Augenblick der Zukunft einfängt, wird man eine Kunst von Bedeutung schaffen.
Der Ausdruck, der nicht zutiefst in der Seele des Künstlers wurzelt,
gehört nicht der Malerei an, die eine Sprache der Tiefe ist, eine von
Vorstellungskraft erfüllte Sprache.“ So ist ein Bild von ihm unter
dem Titel „Not much to look at“ bekannt, das eine Art ars moriendi
eines blühenden Frauenaktes ist. Alle Phänomene sind vergänglich,
unermüdlich mögt ihr um diese Einsicht kämpfen, läßt
der Chronist den Buddha auf dem Sterbebett sagen. Fautrier malte diesen Akt
des Sterbens ausgehend von einem blühenden Frauenakt, ohne dabei den
Rahmen eines Bildes zu sprengen.
Und bescheiden, wie
der Tod nun einmal ist, kommt er dabei in seiner ganzen Herrlichkeit, ohne
dass daran irgendetwas Besonderes wär’.
Anmerkung: Für nähere Informationen sei auf das Von der Heydt -Museum
Wuppertal verwiesen, auf seine Sammlungen und seine Publikationen, u.a. ,Deutsche
Kunst der Gegenwart‘ (1989) und ,Jean Fautrier‘ (1989).
Thomas Illmaier
In: Bodhi Baum, 2/1991, S. 38-42.